piwik no script img

Ende mit Schrecken für Somalias Diktator

USC-Guerilleros nehmen Präsidentenpalast in Mogadischu ein/ Hunderte bei Kämpfen getötet/ Siad Barre angeblich im Militärkonvoi nach Kenia geflohen/ USC ruft Bevölkerung zur Ruhe auf/ Oppositionsgruppen streben nationale Konferenz an  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Siad Barres langer blutiger Abschied von der Macht scheint vollzogen: In einem Militärkonvoi hat Somalias Präsident unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge am Sonntag die Hauptstadt Mogadischu verlassen und ist in Richtung Kenia geflüchtet. Eine mehr als zwei Jahrzehnte währende Herrschaft, die von Menschenrechtsverletzungen, persönlicher Bereicherung und Vetternwirtschaft geprägt war und an deren Ende nur noch Chaos und Haß regierten, ist vorbei.

Vor Wochen bereits ließ sich absehen, daß Barre dem Ansturm der Widerstandskämpfer in der Hauptstadt nicht würde standhalten können— aber er gab keine Handbreit Boden kampflos frei. Auch das letzte Gefecht um seine seit Jahresbeginn belagerte Residenz „Villa Somalia“ im Herzen von Mogadischu hat einen hohen Blutzoll gefordert. Hunderte sollen bei den schweren Kämpfen in der Nacht zum Sonntag auf beiden Seiten getötet worden sein. Nur eine Viertelstunde bevor der Präsidentenpalast endgültig erobert wurde, gab Barre auf. Begleitet von einigen seiner letzten Gefolgsleute, flüchtete er mit zunächst unbekanntem Ziel in einem Panzer aus dem Gebäude. Minuten später stürmten erbitterte Somalis die Prunkresidenz und plünderten das Symbol einer verhaßten Diktatur.

Die Widerstandskämpfer des USC (Vereinigter Somalischer Kongreß) haben gesiegt — aber die Wunden des Bürgerkrieges werden noch lange schmerzen. Tausende sind in den letzten Wochen aus der umkämpften Hauptstadt in die Nachbarländer Kenia und Äthiopien geflüchtet. Sie berichten von grauenvollen Szenen: Leichen, die aus Angst vor den Schußwechseln tagelang niemand zu beerdigen wagte, sind weitgehend von Hunden gefressen worden. Die Zahl derer, die bei den Kämpfen ums Leben gekommen sind, geht in die Tausende — unter ihnen viele Kinder, Frauen und alte Menschen. „Es gibt kein Wasser und sehr wenig zu essen“, sagt Thierry Durand von „Medecins Sans Frontières“ (MSF), der einzigen internationalen Hilfsorganisation, die noch in der Stadt verblieben ist. Der einzige Lichtblick: Bislang ist die Stadt wenigstens von Seuchen wie Cholera und Typhus verschont geblieben.

Somalias Zukunft ist ungewiß. Das Land, das aufgrund der weitgehenden kulturellen, ethnischen und religiösen Einheit seiner Bevölkerung bessere Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung zu haben schien als die meisten anderen ehemals kolonisierten Staaten Afrikas, ist heute wirtschaftlich ruiniert und von blutigen Clan-Fehden zerrissen. Werden sich die verschiedenen Rebellengruppen — die SNM (Somalische Nationalbewegung) im Norden, die SPM (Somalische Patriotische Bewegung) im Süden und der USC, der jetzt Mogadischu erobert hat — nun nach dem Sturz Siad Barres auf eine gemeinsame Linie einigen können? Oder werden jetzt Machtkämpfe und damit neue blutige Gefechte ausbrechen? „Wir versuchen, eine Konferenz zu organisieren, auf der die verschiedenen Widerstandsgruppen eine gemeinsame Dachorganisation gründen“, sagt in Nairobi Mohamoud Sirwa von der Manifesto-Gruppe, einem Zusammenschluß von Intellektuellen, Dissidenten und Clan-Führern verschiedener politischer Richtungen. Die Zusammenkunft soll bereits in den nächsten Tagen stattfinden, in Rom oder vielleicht auch in Mogadischu. Aber die Chancen auf eine rasche Einigung stehen nicht gut: „Die SNM hat die Teilnahme abgelehnt“, gibt Mohamoud Sirwa zu.

Bislang einte der Kampf gegen Siad Barre die Widerstandskämpfer. Jetzt müssen sich die Rebellen von gestern auf ein gemeinsames Aufbauprogramm verständigen — und darauf, wer das Land künftig führen soll. Hussein Muhamed Bot, Vorsitzender des Zentralkomitees des USC, hat nach Siad Barres Flucht die Bevölkerung zur Ruhe und zu konstruktiver Zusammenarbeit aufgefordert. Die nächsten Tage werden zeigen, ob der Sturz des Präsidenten genügt, um Somalia Frieden zu bringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen