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Absurdität des Alltags

■ 17.Bremer Literaturgespräch der Volkshochschule Bremen

“Für mich als Poeten ist alles, was jetzt in der Sowjetunion passiert, nur Material. Als Staatsbürger bin ich darüber natürlich traurig, als Mensch sogar entsetzt, aber als Schriftsteller finde ich das ganz in Ordnung.“ Dimitrij Prigow (Moskau) hat sich als Dichter und bildender Künstler dem russischen Strukturalismus verschrieben. Besonders in seinen Gedichten und Kantaten, versucht er Erscheinungen des sowjetischen Alltagsleben zur Groteske zu verzerren und somit zu entlarven. Gestern diskutierte er beim 17. Bremer Literaturgespräch in der Stadtwaage mit dem Journalisten Jurij Ginsburg (Moskau) und der Literaturwissenschaftlerin Galina Belaja über die Zukunft von Kunst und Perestroika.

Ob sich sowjetische Schriftsteller und Maler zukünftig überhaupt entfalten können, ist ungewiß. Darüber waren sich alle einig. „Auch unter den Literaten gab es anfangs eine ziemlich romantische und euphorische Vorstellung von der Perestroika“, sagte Galina Belaja. „Jetzt sind alle sehr pessimistisch.“

Das Dilemma für Kunst und Literatur: Einerseits sind die alten Stereotypen des sozialistischen Realismus noch sehr lebendig. Andererseits bilden sich erst jetzt, wo man wieder mit Unterdrückung rechnen muß, neue Ansätze heraus. Eine der neuen Formen ist die „leidenschaftliche Verneinung“ der Ideologie und Lebensform, die die Sowjetunion seit fast 70 Jahren beherrscht. „Kunst heute, sollte das fiktive Weltbild, das wir jahrelang hatten, durchbrechen und eine Diagnose für die gegenwärtige Situation liefern“, findet Belaja.

Wichtig sei es, die psychischen Deformationen der Menschen aufzugreifen, meint auch Jurij Ginsburg. „Schon durch die Darstellung der Absurdität des Lebens, können erste innere Veränderungen unterstützt werden.“

Kunst und Kultur also zukünftig ohne gesellschaftliche Utopie? Die Meinung von Prigow: Kunst ohne Utopie, ohne Ziel gibt es nicht. „Das Problem in Rußland war von jeher nicht die Utopie, sondern ihre Verwirklichung.“ Daß es mit der Perestroika, ähnlich wie bei früheren Reformen nicht geklappt habe, sei nicht verwunderlich. „Bei uns war die Verkündung von Utopien immer gleichbedeutend mit der Erreichung dieses Zieles. Genau wie heute. Man verkündete die Perestroika, aber davon, wie man sie realisieren könnte, hat eigentlich keiner eine Vorstellung.“

bz

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