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Bodenkämpfe am GolfGefechte und viel Propaganda

■ Offenbar versucht Bagdad, die alliierten Truppen in den Landkrieg hineinzuziehen. Vom US-amerikanischen Oberkommando werden die Gefechte auf saudischem Boden heruntergespielt.

Als erster meldete es gestern mittag ein saudiarabischer Militärsprecher: Die seit 36 Stunden umkämpfte Stadt Khafji, etwa 20 Kilometer von der kuwaitischen Grenze, sei „völlig befreit“. In der Nachrichtenagentur 'spa‘ hieß es: „Khafji wurde vollständig von den Aggressorstreikräften gesäubert.“ Gleichwohl war es bis zum Redaktionsschluß unklar, ob auch die Kämpfe am Rande der Stadt beendet sind.

Mittwoch nacht sollen den (selbstverständlich zensierten) Agenturberichten zufolge vier Kolonnen mit rund 1.500 irakischen Soldaten und etwa 80 Panzern nach Khafji vorgestoßen sein. Es gibt auch inoffizielle Quellen, die von 2.000 bis 4.000 irakischen Soldaten sprechen, die in diese Kämpfe eingriffen. 150 Iraker mit einigen Panzern seien dabei in die Hafenstadt selbst eingedrungen, die schon am 17. Januar evakuiert worden war. Dieser nächtliche Angriff wird übereinstimmend als Überraschung geschildert, zu einem Zeitpunkt, als der amerikanische Oberkommandierende Schwarzkopf die „absolute Kontrolle“ des Luftraumes durch die Alliierten bekanntgab.

Laut Norman Schwarzkopf sollen die meisten irakischen Panzer und gepanzerten Truppentransporter von den alliierten Kampffliegern, Helikoptern und der Artillerie vernichtet worden sein. Die Kämpfe wurden als „schwer“, als „blutig“ bezeichnet, als „erste Schlacht“ der Bodentruppen. Dabei werden die Verluste der US-Marines konstant mit zwölf beziehungsweise elf Soldaten angegeben. Verluste der saudiarabischen und katarischen Bodentruppen wurden nicht bekanntgegeben. Laut alliierten Informationen seien „Hunderte“ irakische Soldaten gefallen. Auch präzise Angaben über Gefangene fehlen. Das irakische Oberkommando berichtete seinerseits, bei den Kämpfen seien Soldaten und Soldatinnen in irakische Gefangenschaft geraten: „Eine Anzahl von männlichen und weiblichen Wehrpflichtigen der USA sind zusammen mit anderen aus den Streitkräften, die mit ihnen im bösen verbündet sind, gefangengenommen worden.“ Radio Bagdad meldete, die „weiblichen Soldaten“ würden „von den irakischen Kämpfern gut behandelt“.

Stoßtrupp gescheitert

Als einzig konkreter Bericht vom Kampfgeschehen kann die US-Meldung von einem gescheiterten Stoßtruppunternehmen zählen, mit dem zwei amerikanische Infanteristen gerettet werden sollten. Zwei Geländewagen des US-Heeres waren in der Nacht zum Donnerstag im Stadtgebiet zwischen die Fronten geraten. Ein Jeep konnte entkommen, der andere verunglückte. Bei dem Versuch, die Besatzung des verunglückten Jeeps zu befreien, entdeckte man nur noch das leere Fahrzeug. Dabei stand der Stoßtrupp plötzlich irakischen Schützenpanzerwagen gegenüber.

Ist schon die Nachrichtenlage bei den Kämpfen um Khafji unklar, so ist die Deutung des Geschehens noch schwieriger. Das Eindringen wurde von US-Militärs als „Probe“ eines Angriffs oder als ein Aufklärungsunternehmen bezeichnet. Der Sprecher des Weißen Hauses, Fitzwater, versicherte gleich, man betrachte diesen Angriff nicht als Eröffnung des Bodenkrieges. General Raymond Germanos, der Sprecher der französischen Militärführung, interpretierte gestern den irakischen Angriff als einen „Versuch, eine Landoffensive auszulösen“. Auch er versicherte, daß dies gegenwärtig nicht zur Diskussion stünde.

Gleichwohl kam dieser Angriff für die Alliierten zur Unzeit. US-General Schwarzkopf schickte sich in Riad gerade an, eine neue Erfolgsbilanz der ersten beiden Kriegswochen zu ziehen. Wütend ließ er durchblicken, jetzt würden auch die betroffenen irakischen Einheiten im Süden Kuwaits mit Bomben eingedeckt. „Wir werden jetzt auf unsere Weise mit ihnen umgehen. Dies ist nur ein Schlag, aber nicht der Krieg.“ Weiter sagte der US-Oberkommandierende, es sei „militärisch irrelevant“, wie weit die Iraker auf saudisches Gebiet vordrängen. Auch der britische Generalstab bezeichnete die irakische Offensive als eine „Affäre ohne größeres militärisches Interesse“ und als eine weitere propagandistische „Verrücktheit“ von Saddam Hussein. Es deutet viel darauf hin, daß es den Irakern vor allem um einen symbolischen Sieg ging. Nach Bagdad war es ein Signal „für einen Gewittersturm, der über die arabische Wüste braust“. In einem Kommentar der Zeitung 'Al Thaura‘, Organ der irakischen Baath-Partei, hieß es gestern: „Irak verändert die Richtung der Schlacht, indem es neue Elemente seiner Macht einsetzt.“ Die Regierungszeitung 'El Dschumhirja‘ schrieb, daß US-Präsident Bush aufhören müsse zu glauben, „daß er die Willenskraft des Iraks dank seiner Luftüberlegenheit vernichten kann.“ Äußerungen dieser Art deuten darauf hin, daß der Angriff auf Khafji nur ein politisches Ziel hatte — während die Alliierten über den militärischen Sinn des Unternehmens rätselten.

Das Oberkommando der alliierten Truppen hat gestern Zahlen veröffentlicht, die als eine Bilanz militärischer Erfolge und Verluste der ersten beiden Wochen bezeichnet werden. Danach haben die Luftstreitkräfte 30.000 Einsätze geflogen. Elf Militärangehörige seien gefallen, zehn bei anderen Zwischenfällen getötet. Als vermißt gelten sieben US- Soldaten, acht Briten, ein Italiener. Zwölf alliierte Soldaten sollen in irakischer Gefangenschaft sein. Von insgesamt 23 Flugzeugverlusten sollen 18 im direkten Einsatz verlorengegangen sein.

Insgesamt habe man 589 irakische Flugzeuge zerstört und 131 Iraker gefangen. Bagdad meldet den Abschuß von fast 230 Flugzeugen. Im eigenen Land seien 90 Soldaten gefallen und insgesamt 400 Zivilpersonen getötet worden. Sollten allerdings, so spekuliert 'dpa‘, die irakischen Offensivschläge anhalten, könnten die Marschpläne der Alliierten empfindlich durcheinandergeraten. Angesichts der massiven Abwehrketten eingegrabener Panzertruppen und schätzungsweise rund 500.000 irakischer Soldaten in und um Kuwait will die Anti-Irak-Koalition vermutlich noch ein oder zwei Wochen bombardieren, bevor der „schmutzige Part“ einer Landoffensive beginnt. Nur so seien die erwarteten schweren Verluste zu begrenzen. KH

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