: Den Krieg in den Köpfen vermeiden
Frankfurter Diskurs zum Golfkrieg schlingerte zwischen Friedensbauchweh und Sandkastengenerälen/ Cohn-Bendit: „Die Friedensdemonstranten haben kein Gas exportiert“/ Ein erster Versuch für eine komplexe Diskussion ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Über zwanzig DiskutantInnen kamen am Donnerstag abend im Frankfurter Volksbildungsheim nicht zu Wort. Sie hatten, als Einzelpersonen — von Eva Demski bis Claus Leggewie —, in einer kurzfristig angesetzten Veranstaltung „Einspruch“ einlegen wollen „gegen die Irrationalitäten in der Diskussion um den Golfkrieg“. Angesichts der Menschenmenge, die sich auf den Treppen um Einlaß drängte, den Saal und die Empore bis auf den letzten Platz füllte, verzichteten sie auf die vorbereitete Podiumsdiskussion und gaben, zwischen einzelnen kurzen Beiträgen, die Saalmikrofone frei. Das Bedürfnis, über den Golfkrieg zu diskutieren, eigene Standorte überhaupt erst zu finden, war noch weit größer als angenommen. Gleich zu Beginn drohte die Veranstaltung in Aggressionen, gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Friedensbewegung, PazifistInnen und denen, die auf dem Selbstverteidigungsrecht Israels bestehen, auseinanderzubrechen. Der Streit darüber, daß das geringe Eintrittsgeld nach Abzug der Saalmiete auf ein Spendenkonto für die Stadt Tel Aviv überwiesen werden wird, traf offensichtlich mitten in den Kern der Kontroversen.
Diskussionsleiterin Heidi Stauffenberg mahnte zur Mäßigung: „Wir wollen uns an den besten Traditionen Frankfurter politischer Kultur orientieren und einen offenen Diskurs führen.“ Für alle im Saal vertretenen Positionen gebe es „moralisch vertretbare Argumente“. Es sei wenig hilfreich, zu teilen in „hier Kriegshetzer und da Friedensdeppen“. Stauffenberg: „Es geht darum, den Krieg in den Köpfen zu vermeiden.“ Der allerdings, so schien es bei manchen Redebeiträgen, ist schon ausgebrochen. So führte denn auch der einzige Weg aus dem strategischen Sandkasten für den Grünen Udo Knapp direkt in die Wüste. Er plädierte für den Kriegseintritt Deutschlands.
Zu Irritationen führte der Exkurs des Politologen Dan Diner über die westliche Zivilisation und angloamerikanische Wertvorstellungen. Er stellte fest, daß die Parole „Kein Blut für Öl“ die Person des Diktators Saddam Hussein ausblendet, die „nicht kalkulierbar, nicht voraussehbar“, mithin im Sinne angelsächsischer Tradition „nicht vertragsfähig“ sei. Hussein habe sein persönliches Schicksal als orientalischer Despot fest verknüpft mit Sieg oder Niederlage und werde deshalb auch immer wieder die Fronten wechseln. Dies könne der „zivilisatorische Westen“, einschließlich der UdSSR, nicht zulassen. Hussein müsse entmachtet, die von ihm gekauften westlichen Waffen zurückerobert werden. Andernfalls sehe er „eine grausamere Konfrontation“, nämlich die „zwischen Israel und der gesamten arabischen Welt“, voraus.
Diner wandte sich dagegen, den Golfkrieg in kausale Beziehung zu Israel zu setzen. Israel, das sei im arabisch-islamischen Kulturraum „eine Metapher“, die dort für die „Demütigungen des Orients“ und die historische Präsenz des Kolonialismus stehe. Wer von einem bloßen Krieg um Öl und imperialistische Interessen ausgehe, übersehe auch, daß Saddam Hussein vor allem in jenen Ländern gefeiert werde, die einen sicheren räumlichen Abstand von dem Diktator hätten. Tragisch sei es, daß die Palästinenser ihr Schicksal mit dem seinen verknüpft hätten. Sie schadeten damit ihren eigenen Interessen, die vorher internationale Solidarität, auch in der israelischen Linken, erfahren hätten. Die Denunziation angelsächsischer Tradition, die sich hinter der „Öl-Parole“ und in den spezifisch deutschen Friedensdemonstrationen verberge, interpretierte er als das unterbewußte Anknüpfen an nationalsozialistische Wertvorstellungen.
Den Versuch, die im Saal widerstreitenden Gefühle zu benennen, unternahm dann Daniel Cohn-Bendit. Die Enttäuschung an den USA beginne da, wo sie ihre eigenen Ideale mißachtet hätten. Außerdem respektiere er die „Bauchschmerzen ehrlicher Pazifisten“: „Die Menschen, die moralisch nein zum Krieg sagen, haben kein Gas exportiert.“ Ebensowenig aber sei es „Kriegstreiberei“, Israel zu unterstützen: „Beides ist legitim!“ Auch seien die Demonstrationen weder antisemitisch noch profaschistisch gemeint. Allerdings mahnte er die Friedensbewegung, nicht durch Undifferenziertheit in Reden und Parolen „zur Karikatur ihrer selbst“ zu werden. Eine Friedensbewegung werde gebraucht, die sich jetzt, noch während des Krieges, Gedanken über die Welt danach mache.
Die Linguistin Cherifa Magdi wandte sich auch an die arabischen Intellektuellen, die sich in der Kritik an ihren Ländern durchaus auch an den westlichen Demokratien orientiert hätten. Sie sollten bedenken, daß die Teilung der Welt in Imperialismus und Antiimperialismus nicht den Tatsachen entspreche. Keine der arabischen Regierungen sei derzeit demokratisch gewählt. „Wenn die Bevölkerung dort auf die Straße geht und ,Palästina‘ ruft, meint sie die Auseinandersetzung mit der eigenen Regierung.“ Riefe sie statt dessen, so Magdi, „Freiheit“, würde sie niedergeknüppelt. Die Menschen seien „eingeklemmt“ zwischen islamischem Fundamentalismus und den totalitären Regierungen: „Am ehrlichsten sind diejenigen, die schweigen.“ Die Tragik Palästinas sei, daß es bisher „reihum“ von allen arabischen Staaten instrumentalisiert worden sei.
Ein Anfang für die Diskussion
Differenzierter als in den vergangenen Wochen ging Micha Brumlik, wie Dan Diner in der Frankfurter Jüdischen Gruppe in Opposition innerhalb der jüdischen Gemeinde, mit der Friedensbewegung zu Gericht. Er forderte Israel für die Zukunft nach diesem Krieg auf, „mit allen zu sprechen, die sprechen wollen“, und die Palästinenser nicht von vornherein auszuschließen. Allerdings setzten deren Angriffe die israelische Friedensbewegung einer schweren Zerreißprobe aus. Auch Cherifa Magdi hatte daran erinnert, daß vor dem Krieg in Tel Aviv 400.000 Israelis für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser auf die Straße gegangen seien.
Die Veranstaltung ließ viele Fragen offen. Sie wurde dennoch von VertreterInnen der Friedensbewegung bis hin zu einer Delegation der jüdischen Gemeinde als ein erster Versuch gewertet, eine vielfältige und komplexe Diskussion zu eröffnen. Als eine der Grundlagen kann der Vortrag des Soziologen Detlev Claussen dienen, der Angst und Irrationalität benannte: „Krieg mobilisiert die Vorurteile.“ Diese aber trügen zu fataler Einseitigkeit und Entpolitisierung bei: „Die Ohnmacht klagt die Macht an, das Opfer den Täter, das Gute das Böse — ein manichäisches Weltbild ist perfekt, eine Zweiteilung der Welt nach Schwarz und Weiß.“ Israel jetzt die Unterstützung zu verweigern sei „eine politische Bankrotterklärung“.
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