: »Nun weht hier der allgemeine Wind«
■ Gespräch mit dem neuen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin über die neuen Zeiten, die Metropole, Olympia und den Osten
taz: Herr Roloff-Momin, Sie sind erst in allerletzter Sekunde von der SPD, der Sie ja selbst nicht angehören, doch noch — und wie es scheint nicht ganz aus vollster Überzeugung — auf den Posten des Kultursenators gehoben worden. Und in der CDU werden Sie auch nicht gerade viele Freunde haben. Meinen Sie, daß Sie in dieser Koalition, oder wenigstens in der SPD, genug Rückhalt haben für die Kämpfe, die Ihnen bevorstehen?
Roloff-Momin: Ich denke mir, daß ich welchen habe. Meine Berufung geht ja auf das Konto der SPD. Die SPD hat mich nominiert mit einem hervorragenden Stimmenergebnis, und sie muß alles Interesse daran haben, daß ich in diesem Amt etwas erreiche. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß der Koalitionspartner mir aus parteipolitischen Gründen Steine in den Weg rollt. Denn auch die überregionale Presse sagt es ja sehr deutlich, daß die Kultur in dieser Stadt nicht etwas ist, was man unter »ferner liefen« macht, sondern daß das ganz genau von draußen beobachtet wird, was hier passiert. Ich bin der Meinung, daß sich weder SPD noch CDU leisten können, mich hier verhungern zu lassen.
Aber Sie dürften es dennoch sehr schwer haben. Nicht nur wegen der finanziellen Situation der Stadt, sondern weil Sie offensichtlich auf den verschiedensten Ebenen in Ihren Ansichten ausgesprochen quer zu ihren Mitsenatoren liegen.
Einen leichten Stand werde ich sicher nicht haben. Man hat mir ja auch durch mein Wahlergebnis im Parlament schon deutlich gemacht, was man von mir hält. Aber jetzt kann es nur besser werden. Und wenn ich mit dem Rücken an der Wand stehe, bin ich immer am besten. Aber ich habe viele Kollegen auf beiden Seiten des Senatstisches, denen ich ein Kulturverständnis und den guten Willen, mir zu helfen, attestiere. Die eine oder andere Niederlage werde ich einstecken müssen, das ist klar, bei dieser Finanzlage wird keiner ungeschoren davon kommen.
Stehen Sie selbst im großen und ganzen hinter den Koalitionsvereinbarungen?
Die habe ich nicht mit abgeschlossen. Ich habe Sie mir aber durchgelesen, bevor ich mich für die Kandidatur entschieden habe. Aber in den Koalitionsvereinbarungen steht für den Bereich Kultur nichts drin, was mich unbedingt von vorneherein hätte abschrecken müssen. Es steht einiges drin, von dem ich der Meinung bin, das müßte man noch qualitativ auffüllen, und es steht vieles drin, mit dem ich leben kann.
Der Tenor der Koalitionsvereinbarungen im Bereich Kultur ist ja, daß Berlin Zentrum für moderne Kunst, Zentrum für Musik, für Theater also für den sehr engen Bereich von Kunst werden und hierin die Metropolenfunktion wahrnehmen soll. Das ist eine sehr repräsentative Herangehensweise an Kultur. Als sie schon einmal Senatorenkandidat waren — vor zwei Jahren — haben Sie sich sowohl gegen den Metropolenbegriff gewandt als auch für das Dezentrale eingesetzt.
Die Zeit hat sich gegenüber der vor zwei Jahren, als ich mein Modell für die dezentrale Kulturarbeit und deren Finanzierung vorgestellt hatte, geändert. Mittlerweile werden ja beispielsweise die Gelder für die freien Gruppen durch den neuen Theaterbeirat ganz anders — das heißt nicht mehr von oben — verteilt. Und mittlerweile kann man auch beobachten, daß aus der Szene selbst heraus eine durchaus sehr heilsame Hinwendung zum Leistungsprinzip da ist. Und was die Repräsentationskultur betrifft: Wenn wir davon ausgehen, daß wir in Berlin in der Szene alles das haben, was sich dann in solchen Kunstzentren wiederfindet, dann werde ich dafür eintreten, daß wir solche Zentren nicht an der Berliner Szene vorbei machen, sondern diese miteinbeziehen. Wenn man an das Tanzhaus, an das Filmhaus, an die Musik denkt, dann wird hier nichts an der qualitativ hervorragenden Berliner Szene vorbei geschehen. Die kann man sich nutzbar machen, und das wird eine Ausstrahlung nach außen und nach innen haben.
Sie hatten ja damals schon den Metropolenbegriff selbst abgelehnt. Jetzt ginge es um die multikulturelle Großstadt, hatten sie formuliert. Von dieser hat man sich mittlerweile aber auch wieder abgewandt.
Die Zeit nach dem 9. November 1989 hat für mich neue Aufgaben für die Stadt gebracht: Wir müssen ja nun kein Gebilde mehr aufrechterhalten, das dadurch gekennzeichnet ist, daß es innerhalb eines fremden Gesellschaftssystems das Aushängeschild unseres Gesellschaftssystems ist. Nun weht auch hier der allgemeine Wind, der auch woanders bläst. Es kommt hinzu, daß Berlin in dem europäischen Prozeß eine neue Rolle spielt. Berlin liegt exakt auf dem Schnittpunkt von Nord-Süd und West-Ost. Um auch nach innen sich entfalten zu können, muß Berlin diese Funktion annnehmen. Wir müssen uns jetzt bewähren im Wettstreit mit Paris, London, Madrid, oder Rom. Und das wird auf eine Weise geschehen, die unsere eigenen Qualitäten in den Vordergrund stellt. Was die Multikulturalität betrifft: daß davon nichts ausdrücklich in den Koalitionsvereinbarungen steht, kann man wohl verschmerzen. Dafür steht ein Satz drin: »Kulturpolitik ist Stadtpolitik«, und eine Stadtpolitik, in der die Mitbürgerinnen und Mitbürger anderer kultureller Herkunft, kultureller Traditionen ausgeklammert werden und nicht als Bereicherung des Stadtlebens gesehen werden, würde sich selbst pervertieren.
Stadtpolitik wird in den nächsten Jahren auch Olympiapolitik sein. Das Olympia-Büro macht sich schon jetzt Gedanken über das kulturelle Beiprogramm. Die olympischen Statuten verlangen eine gleichgewichtige Behandlung der Kultur gegenüber dem Sport. Bisher scheinen die kulturellen Anstrengungen sehr auf Dekoration hinauszulaufen. Was macht ein Kultursenator, wenn es nun darum geht, eine Stadt so aufzupeppen, daß sie als Austragungsort für olympische Spiele interessant wird? Wie kann ein Kultursenator verhindern, daß sich bei der großartigen Darstellung nach außen für die Kultur nur die Aufpeppfunktion übrigbleibt?
Ich halte Olympia 2000 unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Infrastruktur dieser Stadt durchaus für einen Glücksfall. Da kommt Geld ins Land, die Stadt muß etwas darstellen, und die kulturellen Standorte — und zwar nicht nur die hochdekorativen, ich danke da vor allem an den Osten — müssen da mit renoviert werden. Im übrigen werde ich als Kultursenator an der Erarbeitung eines kulturellen Programms mitwirken. Eine Olympiade muß eine kulturelle Ausrichtung haben, sie muß sich nicht nur durch den Sport auszeichenen, sondern auch daraus, daß das, was an Kultur damit zusammenhängt, sich auch aus Berlin heraus selbst rekrutiert. Und das schaffen wir auch.
Sie haben gerade angesprochen, daß es vor allem hinsichtlich des Ostens einiges zu tun gibt. Wie sieht da Ihre Kenntnis bisher aus?
Die ist sicher sehr viel mangelhafter, als sie sein müßte. Aber ich bin dabei, das aufzuarbeiten und mich so oft wie möglich dort zu tummeln und mir die Probleme anzusehen. Wobei ich mir darüber im klaren bin, daß selbst eine optimale Kenntnis nicht viel nützen würde, weil kein Wessi sich einbilden soll, mit westlichem Kulturverständnis die östlichen Bezirke der Stadt angemessen behandeln zu können. Dieses Manko werde ich durch Berater auszugleichen versuchen.
Neulich sagten Sie, daß für die künstlerisch Arbeitenden im Osten der Abwicklungsschock wohl das markanteste Erlebnis des Jahres 1990 war, während für den Westen eher die bedrohlichen Finanzkürzungen das Problem zu sein scheinen. Wie wollen Sie die Leute von diesem Abwicklungsschock erlösen?
Der Abwicklungsschock ist ja passiert, bevor ich ins Amt gekommen bin. Ich hätte ihn auch selber nicht verhindern können, er ist ein Ergebnis des Einigungsvertrages. Der hat ganz klare Fristen gesetzt, bis wann man was übernimmt. Von daher kann ich gegen den Schock materiell wenig unternehmen. Was ich aber machen kann, ist eine Atmosphäre schaffen, in der dieser sich abarbeiten und verdauen läßt. Das ist herzlich wenig. Aber mit dem, was ich im Osten derzeit als Finanzierungsnotwendigkeiten vorfinde, bin ich genügend ausgelastet. Wenn ich das einigermaßen hinkriege, ist das schon ein kleines Weltwunder. Mir fehlt im Etat die Hälfte, nämlich eine weitere halbe Milliarde, um den Osten auf das Niveau des Westens zu bringen. Und einen Etat auf das Doppelte aufzustocken, würde selbst Herkules nicht schaffen. Da wird es noch schmerzhafte Prozesse geben.
Das ist ja nicht nur ein finanzielles Problem, sondern es geht auch darum, daß die Leute in ihrer kulturellen Identität nicht ernstgenommen werden. Der Magisenat hat da in sehr unsensibler Weise Beschlüsse durchgesetzt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, den Anspruch des Ostens, etwas eigenes einzubringen, institutionell zu realisieren?
Es ist völlig selbstverständlich, diesen Anspruch zu respektieren. Ich habe mir vorgenommen, hier Überrollmethoden zu verhindern, sensibler vorzugehen und jeweils mit den Menschen, die das betrifft, zu reden, und zwar bevor entschieden wird. Das gilt nicht nur für den Osten, sondern auch für den Westen. Eine Möglichkeit, kulturelle Identität zu retten, bieten zum Beispiel die Kulturhäuser.
In den Koalitionsvereinbarungen ist unter anderem auch davon die Rede, daß Berlin nur Geld für eine Akademie der Künste habe, weshalb die beiden zusammengelegt werden sollen, was diese aber selbst gar nicht wollen. Und der Präsident der Akademie Ost, Heiner Müller, hat durchaus eigene Vorstellungen, wie er unter Berücksichtigung der DDR-Geschichte verfahren möchte. Er will ja die korrespondierenden ausländischen Mitglieder zu Vollmitgliedern machen, wodurch die Europäer die Überhand hätten.
Ich habe sowohl Heiner Müller als auch seinen Kollegen Walter Jens zu einem ersten Gespräch eingeladen. Was ich einmal mit diesem Gespräch erreichen möchte, ist, daß der gesetzliche Beratungsauftrag, den die West-Akademie hat, wahrgenommen wird, nämlich den Staat bei kulturpolitischen Entscheidungen zu beraten. Das ist bisher nie geschehen. Ich will erkunden, wie weit diesem Beratungsauftrag nachzukommen die Akademie bereit und in der Lage ist. Wenn das der Fall ist, werde ich diesen annehmen, weil ich Rat brauche, um Entscheidungen treffen zu können. Mit Heiner Müller werde ich genau dieses Problem der Zusammenlegung der Akademien erörtern, und ich werde versuchen auszuloten, was er mit seiner anderen Variante, die er ins Spiel gebracht hat, meint und wie man diese in das Konzept einbauen kann. Dahinter steht ja, daß Heiner Müller, wenn ich das richtig interpretiere, einen anderen Inhalt in einem anderen Gehäuse und selbstverständlich auch mit anderen Menschen haben will. Die Akademie würde also gar nicht bestehen bleiben, sondern etwas Neues würde sich entwickeln. Dann hätte die Koalitionsvereinbarung recht: es gäbe nur noch eine Akademie der Künste.
Ein anderes Stichwort ist zum Beispiel das Haus der jungen Talente: Die Konzeption, die die Leute eingereicht hatten, wurde beiseite geschoben, und es sollte eine unabhängige Kommission zur Erarbeitung einer Konzeption eingesetzt werden. Die widerständige Geschichte des Hauses wurde nicht berücksichtigt.
Ich denke auf jeden Fall, daß man das Haus der jungen Talente als Ort der kulturellen Betätigung für Kinder und Jugendliche erhalten soll. Das Haus war zwar eingebunden in das Bildungssystem der DDR und von daher ein Staatsbetrieb. Trotzdem war das eine Stätte, wo sich Jugendprotest schon lange, lange vor dem 9. November artikuliert hat. Deswegen sage ich, die kulturellen Strukturen in der DDR sind für uns kaum durchschaubar. Ich traue mir nicht zu, die Institutionen im Osten ohne Nachhilfeunterricht einzuschätzen.
Laut Koalitionsvereinbarung soll eine internationale Kommission eingesetzt werden, zur Prüfung, wie mit der Museumsinsel verfahren werden soll. Nun gibt es in der ehemaligen Nationalgalerie der DDR eine Sammlung von Kunst der DDR, die wahrscheinlich bald im Keller verschwindet, wenn man hier den sonst üblichen kosmopolitischen Anspruch an moderne Sammlungen stellt.
Sicher gibt es auch in der DDR- Kunst Künstlerinnen und Künstler oder auch Werke, die in einem historischen Gesamtüberblick der Kunst in Deutschland nach 1945 unverzichtbar sind. Es wird eine Neubewertung der Kunst der DDR geben, und es ist für mich noch nicht ausgemacht, daß es nicht auch auf der Museumsinsel einen Ort geben soll, wo ebendiese Neubewertung auch im Ausstellungsbereich stattfinden wird.
Was ist denn der Stand des Deutschen Historischen Museums? In der Koalitionsvereinbarung taucht das Streitobjekt ja gar nicht mehr auf.
Das Zeughaus wird derzeit als Standort genutzt, und das Grundstück am Spreebogen wird erst mal für den Neubau freigehalten. Das Deutsche Historische Museum ist eine Sache, mit der man sich abfinden muß, aber ich gehe davon aus, daß wir auf absehbare Zeit ausreichend mit anderen Bauaktivitäten zu tun haben werden.
Letzte Frage: Was wird nun nach Ihrem Weggang aus der Hochschule der Künste, die Studenten weinen Ihnen ja jetzt schon nach?
Ich wäre ein schlechter Präsident gewesen, wenn ich die HdK so auf mich ausgerichtet hätte, daß die nun gar nicht mehr wissen, was sie machen sollen. Ich glaube, die Studenten haben eine so gute Stellung an der Hochschule, die auch eine neue Präsidentin oder einen Präsidenten zwingt, sich ihrer Nöte anzunehmen. Was wir gemacht haben, waren ja keine einsamen Entschlüsse des Präsidenten, sondern das war ja alles sachlich begründet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sich von Dingen wie Interdisziplinarität verabschiedet, nur weil der Präsident weg ist. Interview: André Meier/
Gabriele Riedle
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