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Wo die Uhren anders gehen

■ Die Treptower »Cabaret«-Version »Good bye Berlin« im Club Gérard Philipe

Alles ist ein bißchen verwirrend. Um so mehr, wenn es in der bis vor kurzer Zeit von drei Seiten von der Mauer umgebenen Enklave Treptow liegt. In Treptow gehen neuerdings die Straßen bruchlos nach Neukölln über, in Treptow gibt es eine Würstelbox, hinter der der Club Gérard Philipe liegt.

Und hier fängt es schon an. Als das Cabaret Philipp in den Club Gérard Philipe einzog, um unter der Leitung des Puppenspielers und Entertainers Peter Waschinsky mit unterschiedlichen Kleinkunstprogrammen und einer Mischform aus Kabarett, Tingeltangel und Varieté nach dem Motto »Mein Hinterhof — das Universum« zunächst das Treptower und später das Großberliner Publikum zu begeistern, sah Gérard Philipe dem deutschen Zappelphilipp zum Verwechseln ähnlich: Er verlor das Schluß-e.

Mit dem neuen Kabarettprogramm gibt es ähnliche semantische Verwirrungen. »Cabaret« meint jetzt nicht mehr die oben geschriebene treptowuniversale Kunstform, sondern den Eigennamen, das legendäre Musical bzw. die Verfilmung des Christopher-Isherwood-Romans Good bye Berlin. »Cabaret« ist in diesem Fall im Cabaret enthalten, bzw. Good bye Berlin ist der Titel einer Darbietung, bei welcher sich das Cabaret das »Cabaret« zum Thema genommen hat. Und schon wieder gerät alles ins Treptower Abseits: Good bye Berlin heißt in der Übersetzung von Waschinsky »gut kaufen Berlin«, »man kauft gut in Berlin«, »Berlin ist gut zu kaufen« und so fort. »Cabaret« ist, man ahnt es, natürlich kein Remake der Hollywoodschen Mythosvision des Berlins der angehenden dreißiger Jahre, sondern die Kleinberliner, treptowische, minoritäre Version der angehenden neunziger Jahre: schon zu Beginn wird das Publikum nicht mit bienvenue, welcome usw. begrüßt, sondern von einem Kasperle alias Sally Bowles mit der Frage »Seid Ihr auch alle da?« über die Verwendung der klassischen Kasperletheatereinleitungsformel wird dabei auf die chronische Leere im Kultursaal als Wendephänomen gezielt: die Treptower Bürger, fürderhin nicht mehr dreiseitig von der Mauer umschlossen, suchen offensichtlich Vergnügungsstätten im, was die Weltoffenheit angeht, um Nasenlänge vorausliegenden Neukölln auf.

»Cabaret«, das ist also eine Schmalspurversion im Finger- und Puppenspiel, wobei die Beinschwinghöhe von Sally Bowles an ca. 7,5 Zentimeter heranreicht, der Liebesakt findet zwischen zwei Handflächen statt. Die eingespielten Originalsongs werden durch eine Art Durchgang durchs Nadelöhr verfremdet; das solchermaßen aufs Wesentliche reduzierte Handlungsgerüst bekommt dafür eigenen Schmus: wehmütige jiddische Lieder von Karsten Troyke, verrucht- rauchige Chansons von Gerlinde Kempendorff, kuriose Sägespieldarbietungen auf vibrierendem Sägeblatt von Günther Medau — alles begleitet von dem Pianisten Jörg Erdmann. Die Schnulze mit dem Refrain »durch ein einziges Wort: Heirat« wird einem auf Blockflöte und Säge unter die Haut gejagt... Es fehlt auch nicht an ins Cabaret eingeflochtener kabarett-typischer Zeitkritik: Kasperle sagt zu seinem Gegenspieler, dem ewigen Polizisten: »Du hast Glück, du wirst nicht abgewickelt, einer wie du wird ja nur umgeschult.«

Wie Waschinsky, der allgegenwärtige Drahtzieher dieses Spektakels, ausführt, meinte Cabaret ursprünglich einen Tisch, auf dem verschiedene Schüsseln mit verschiedenem Essen stehen. Hier, so könnte man weiterdenken, ist eine gelungene Übersetzung des kalifornischen Kentucky Fried Chicken in die Treptower Würstelversion gelungen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es schade, daß in Treptow auch die Uhren noch anders gehen: nicht nur fällt dort der 2. Februar auf einen Freitag, während es im Westen schon Samstag ist, weshalb die Premiere, die man erwartet, schon am Vorabend gewesen ist. Zu allem Überfluß haben Waschinsky & Co. auch noch beschlossen, das Programm, das einen Monat lang gespielt werden sollte, nach drei Vorstellungen abzusetzen, also die Cabaret-Kleinausgabe auf Null zu reduzieren, da man es neben allen behördlich-zeitgeschichtlich- weltanschaulich-organisatorischen Schwierigkeiten nicht auf den berühmten Punkt gebracht hätte, der doch bekanntlich durch Nullausdehnung glänzt, weshalb dahin gar nichts gebracht werden kann — schade, schade, tat doch der Versuch der ironischen Wiederbelebung einer Kunstform aus einer Zeit, da die Uhren in Treptow und Neukölln gleich gingen, gut. [Wie wars denn nun, werte Sprachkneterin? d. säzzer] Michaela Ott

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