: Berlin erstickt bald in seinen Autoabgasen
■ Katalysatoreffekt durch Autolawine wieder wettgemacht/ Umweltsenator stellt dramatische neue Werte vor/ Autos zweitgrößte Luftverpester
Berlin. Wenn das Steuer in der Verkehrspolitik nicht rasch herumgerissen wird, müssen die BerlinerInnen langsam, aber sicher in Autoabgasen ersticken. Das ergibt sich aus einem gestern vom neuen Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) vorgestellten »Emissionskataster Verkehr«. Die Schadstoffentlastung, die die Katalysator-Technik gebracht habe, sei durch den Zuwachs an Blechkarossen auf den Stadtstraßen wieder kompensiert worden. Es müsse noch »an vielen Schrauben gedreht werden«, so Senator Hassemer, um bis zum Jahre 1998 die Stickoxidemissionen um 30 Prozent und die der Kohlenwasserstoffe um 50 Prozent zu reduzieren, wie es die Umweltministerkonferenz im November 1990 beschlossen hatte.
Die wichtigsten Ergebnisse des Katasters laut Hassemer: Nach den Kohle-Einzelöfen trägt der Autoverkehr am meisten zur Verpestung der einst gerühmten Berliner Luft bei. Die Auswertung der Immissionsdaten ergab, daß heute schon in West- Berlin im Jahresmittel 75 Prozent der Kohlenmonoxid- und 56 Prozent der Stickoxidbelastung vom Kfz-Verkehr hervorgerufen werden. Hinzu kommen 26.000 Tonnen an hochgiftigen Kohlenwasserstoffen. Auch das krebserzeugende Benzol stamme zu 90 Prozent von Kraftfahrzeugen. Zusätzlich könnten Dioxine zum Problem werden, die bei der Verbrennung von verbleitem Benzin entstehen.
Bei ihrer Emissionsprognose für das Jahr 2000 rechneten die Luft-Experten in der Hassemer-Verwaltung mit einem Pkw-Zuwachs auf 1,9 Millionen Fahrzeugen in der ganzen Stadt. Entsprechend düster klingt die Vorhersage: Um rund 25 Prozent werden die von Diesel-Fahrzeugen abgesonderten Rußpartikel in der Luft zunehmen. Angenommen wird weiter, daß die Belastung durch Kohlenwasserstoffe um weitere zehn Prozent ansteigt. Dagegen prognostizieren die Experten einen Rückgang um 30 Prozent beim Kohlenmonoxid, um 20 Prozent bei den Stickoxiden und um zehn Prozent bei den Kohlenwasserstoffen; letzteres wegen der Abnahme von Zweitaktfahrzeugen.
Im Grunde sei das einzig wirksame Mittel zur Verbesserung der Luft eine forcierte Einführung des Katalysators, wollte der Senator glauben machen. Heute seien in Berlin erst 20 Prozent aller Fahrzeuge mit dieser Technik ausgestattet. Hassemer zufolge wäre es auch denkbar, daß in Zukunft für Elektroautos besondere Parkplätze in der Innenstadt reserviert werden. Hassemer wollte hier auch einen Berliner Alleingang, unabhängig von der Bundespolitik, nicht ausschließen.
Hingegen bezeichnete der Senator auf Nachfrage eine Sperrung der Innenstadt für Automobilisten oder das sogenannte Stockholmer Modell forsch als »nichtsystematische Form der Maßnahme«. Die Lehre aus der rot-grünen Verkehrspolitik ist nach Hassemers Ansicht, daß sich das »System« gegen zu »brutale« Eingriffe wehrt.
Wie der Fachbereichsleiter am Umweltbundesamt, Dr. Becker, gestern erläuterte, will man den neuentwickelten Oxidations-Kat für Trabis jetzt im Rahmen eines Dauerfahrversuchs auf den Straßen testen. Voraussichtlich könnte dieser Kat für die Ost-Zweitakter nunmehr bis zum Jahresende eingeführt werden, so Hassemers einzige frohe Kunde auf der gestrigen Pressekonferenz. Thomas Knauf
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