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Orientalische Tribüne

■ "Das ist Massenmord, kein Krieg"

Shapour Ravasani ist Iraner und Professor für Ökonomie in Oldenburg.

taz: Der Iran versucht jetzt mit einem 7-Punkte-Plan am Golfkrieg zu vermitteln. Sehen Sie eine Lösung?

Shapour Ravasani: Eine erste Lösung kann nur der sofortige Waffenstillstand sein. Denn dies ist kein Krieg. Dies ist ein Massenmord. Sämtliche Menschen in diesem Gebiet haben die gleichen Lebensrechte — unabhängig von ihrem Geburtsort, ihrem Glauben, ihrer Hautfarbe. Und dann müssen in einem zweiten Schritt alle UNO-Resolutionen durchgesetzt werden. Ohne Ausnahme. Nicht nur die gegen den Irak, sondern alle, auch die gegen die Türkei, gegen Zypern. Dann haben wir eine Basis für eine reelle Lösung

Die UNO also auch als friedenssichernde Macht nach einem Kriegsende?

Wenn die UNO sich moralisch und selbständig benommen hätte, dann ja. Sie hatte diesen Kredit gehabt. Aber den hat sie jetzt nicht mehr. Warum schweigt die UNO gegen diesen Massenmord? Ich habe etwas gegen, diese kapitalistisch gewinnbringende Moral. Und in der Dritten Welt spottet man schon über diesen Moralbegriff, der so offensichtlich Unterschiede macht. Moralisch und gesellschaftlich haben die USA und die kolonialen Westmächte diesen Krieg längst verloren. Es gibt einen Weltprotest — in ganz Afrika, ganz Südamerika, in ganz Südostasien, die Bevölkerung, die Regierungen — alle sind gegen diesen Krieg — egal was mit dem Irak passiert.

Geben Sie dem iranischen Vermittlungsvorschlag denn eine Chance?

Jeder Vorschlag zu einem Waffenstillstand ist willkommen. Ich bin selber Perser, aber kein Chauvinist oder Nationalist, um die Sache von nur einer Seite aus zu betrachten. Die Bevölkerung jedes Gebietes hat das Recht, zu entscheiden. Da kann weder der Iran noch irgendein anderes Land Bedingungen festlegen.

Dies ist eine rein arabische Angelegenheit: Das arabische Volk, die Bevölkerung in den Gebieten muß die Grenzen dort akzeptieren oder nicht. Und es sind Kolonialgrenzen, rein politische Grenzen — keine historischen. Wie die künstliche Grenze zur DDR, die die Bevölkerung auch nicht akzeptierte.

Heißt das, daß man nach diesem Krieg die „Grenzverschiebungen“ durch Saddam Hussein anerkennen soll?

Kuwait hat etwa zwei Millionen Einwohner. In diesem Staat haben aber nur 90.000 Männer von alten Beduinen-Familien Wahlrecht. 600.000 Personen sind Zugewanderte Reiche, die haben zwar die kuwaitische Staatsangehörigkeit, aber kein Wahlrecht, sind also Menschen zweiter Klasse. Eine weitere Million sind Gastarbeiter ohne Wahlrecht. Und auch Frauen haben kein Wahlrecht. Es gibt kein Parlament, einen starken Polizeiapparat, und Kuwait ist eine Erbmonarchie. Kann man solch ein Land im Namen von Demokratie und Freiheit verteidigen? Hier handelt es sich nur um amerikanische Interessen.

Und die sind rein ökonomisch?

Die USA haben ein kurzfristiges, ein mittel- und ein langfristiges Interesse. Das erste kurzfristige Interesse der USA am Truppenaufmarsch hat James Baker auf einen Punkt gebracht: Es geht um Arbeitsplätze. Das ist die Wahrheit, denn seit Mitte 1990 beginnt in den USA eine Rezession. So ist im November die Arbeitslosenquote von 5,7 auf 6 Prozent im Dezember gestiegen. In England ist es ähnlich. Zur Bekämpfung der Rezession versuchen sie jetzt den Arbeitsmarkt zu entlasten: Sie engagieren junge, unqualifizierte Männer vom Arbeitsmarkt, um sie an den Golf zu schicken. Damit läßt sich die Rezession zumindest lindern.

Wenn der Krieg kurz dauern sollte (einen Monat), dann trägt er zu einem Aufschwung bei. Denn die USA rechnen damit, sich billige Erdölquellen zu erobern und für lange Zeit zu sichern. Denn von den 111 Milliarden Dollar Handelsbilanzdefizit der USA (1989) entstehen 50 Milliarden allein durch den Erdölimport, bei weiterem Dollarverfall wird diese Summe weiter steigen. Und die eigenen Erdölvorkommen werden immer unrentabler.

Wenn der Krieg aber lang dauern sollte, dann führt er zu großen Problemen in den gesamten kapitalistischen Gebieten: dann kommt es wegen der hohen unproduktiven Militärausgaben zur Inflation.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Friedensbewegung?

Natürlich ist die Friedensbewegung gegen den Mord am Golf. Und natürlich hoffe ich, daß alle gegen den Krieg sind und daß dieser Krieg die Menschen zum Umdenken bringt: Aber nicht, weil sie selbst gefährdet sind oder weil der Krieg Gewinn oder Verluste bringt, sondern weil Krieg Mord ist.

Aber ich hätte sie gerne schon in früheren Zeiten erlebt: Als der Irak den Iran angegriffen hatte. Als damals deutsches Giftgas in Halabja gegen die Kurden eingesetzt wurde — da haben nur ganz wenige protestiert.

Es ist die Sache der europäischen Linken und der progressiven Kräfte und Friedensbewegung, über mehr als nur das eigene Schicksal zu denken. Und die haben mindestens das Recht, informiert zu sein. Warum diese Zensur? Was sollen wir nicht wissen? — Das Massaker ist zu groß. Gespräch: Birgitt Rambalski

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