: Milliardenpoker um Milliardenlöcher
Angesichts des drohenden finanziellen Zusammenbruchs der neuen Bundesländer denken die Wessis verschärft über Finanzhilfen nach/ SPD-Länder bieten 15 Milliarden/ Bund will nichts mehr zulegen ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Dem armen Verwandten droht der Kollaps: Die neuen Bundesländer beziffern für dieses Jahr ihr Haushaltsdefizit auf 54 Milliarden Mark — gut die Hälfte der Länderhaushalte von 106 Milliarden Mark. Für notwendige Investitionen fehle ebenso das Geld wie für öffentliche Angestellte. Leipzig könne die Gehälter schon jetzt nicht mehr zahlen, heißt es aus Sachsen. Die Reaktionen auf die desolate Lage werden heftiger: Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) droht bereits, mit einer Verfassungsklage den Einigungsvertrag kippen zu wollen. Vor allem wollen die Neuen stärker an der Verteilung der Umsatzsteuer beteiligt werden. Geholfen werden muß, sind sich die westlichen Bundesländer mit der Bundesregierung einig. Dissenz aber herrscht darüber, wer wieviel berappen muß und ob die Ostforderungen angemessen sind.
Vor der gestrigen Sitzung der Länderfinanzminister in Bonn boten die SPD-geführten Bundesländer den östlichen Kollegen für die nächsten fünf Jahre zusätzliche Finanzhilfen von 15 Milliarden Mark an. Auch von den CDU-regierten alten Bundesländern wurde bei dem Treffen Zustimmung signalisiert, allerdings ohne konkrte Aussagen über die Summen. Bevorzugt wird die direkte Zahlung; das Steueraufkommen der Länder neu zu verteilen, lehnen die Westländer ab. Parteienübergreifend aber wird von den Wessis Finanzminister Waigel für die aktuellen Probleme der Ossis verantwortlich gemacht — die leeren Kassen seien vornehmlich Liquiditätsengpässe, weil der Bund 30 Milliarden aus dem Fonds Deutsche Einheit bei der Deutschen Bank bunkere.
Damit ist die Solidarität der Wessis — die in den Fonds Deutsche Einheit bis 1994 runde 55 Milliarden Mark einzahlen — bereits zuende. NRW-Finanzminister Schleußer (SPD), der Vorsitzende der Finanzministerkonferenz, nennt die Haushaltspläne der Länder der Ex-DDR rund 30 Prozent zu hoch. So wolle Brandenburg beispielsweise jährlich pro Kopf der Bevölkerung 7.200 Mark ausgeben, NRW dagegen nur 4.200 Mark. Trotz eines anerkannt höheren Investitionsbedarfs infolge der maroden Infrastruktur der Ex- DDR sei das einfach zuviel.
In die gleiche Kerbe schlägt das Bundesfinanzministerium, wo schon die vorgelegten Zahlen bezweifelt werden. Statt des von den Ossis berechneten Lochs von 54 Milliarden kommt man nur auf ein Defizit von 24 Milliarden Mark. Dieses sei durchaus hinnehmbar, weil die Ostländer ja bislang keine Schulden hätten. Neben den zu großen Ausgabenwünschen wird den Ostländern vorgeworfen, die Subventionen bei Mieten, Energiepreisen und im öffentlichen Nahverkehr zu langsam abzubauen. Auch beschäftigten die Ostländer zuviel Personal: In Brandenburg unterrichteten beispielsweise 42.000 Lehrer, im gleichgroßen Schleswig-Holstein aber nur 19.000. Die Investitionsvorhaben seien viel zu umfangreich, als daß sie 1991 umgesetzt werden könnten. Weil die Behörden außerdem nicht effektiv genug arbeiteten, könnte auch das vorhandene Geld nicht schnell genug abfließen.
Bevor die Westländer in die Tasche greifen, will man deshalb die Haushaltsentwürfe der Ossis und ihre mittelfristige Finanzplanung „analysieren“, kam die Finanzministerrunde überein. Der Bund hat signalisiert, von ihm werde kein Pfennig kommen. Das sei Sache der Bundesländer, weil man sich „bereits weit über seine Grenzen“ hinaus engagiert habe. Die SPD-Länder beklagen dagegen, daß Waigel auf der Einnahmeseite der Länder kürze und zugleich auf der Ausgabenseite „draufgesattelt“ werde. Ihr Angebot zusätzlicher Finanzleistungen ist deshalb an eine Bedingung geknüpft: gezahlt werde nur, wenn die Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer in den alten Bundesländern — rund neun Milliarden Mark — nicht wegfalle, wie es die FDP in der Koalition durchsetzte. Die SPD schlägt außerdem — neben der unvermeidlichen Umverteilung des Rüstungshaushalts — auch eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende vor. Dadurch kämen jährlich rund 14 Milliarden Mark für den Aufbau der neuen Länder zusammen.
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