: Ja zur väterlichen Untertracht
■ Streitfall lange Unterhose: Bewußte Männer setzen ein Zeichen der Schwäche und Vernunft
Eins ist ja wohl klar: sogenannte Thermohosen sind keine Lösung. Sie sehen aus wie zu dünn geratene Steppdecken, sind kaum zu bügeln und taugen aufgeschnitten vielleicht als Badezimmermatte. Aber so defensiv soll hier überhaupt nicht argumentiert werden. Denn was spricht eigentlich gegen die väterliche Zweischicht-Tracht lange Unterhose/ lange Überhose? Weiß doch ein jeder, daß eine dünne Luftschicht beispielsweise zwischen den Doppelscheiben der Wohnung wahre Isolierwunder tut. Und wieso sind wohl die wärmsten Socken die grobgestrickten, Loch an Loch? Wegen der Luft. Vom althergebrachten lockeren Stroh in der Holzpantine gar nicht zu reden.
Natürlich beeinträchtigen Ohrenschützer, Mützen, U-Hemden mit Arm und lange Unterhosen unter Umständen das (aero-)dynamische Outfit des verfönten Armani-Fans, sind die ost-üblichen Russenmützen und die im Westen erfundenen dicken, schweißträchtigen Moonboots ein wahres Greuel. Und selbstverständlich klingt immer noch Mutti im Ohr, die uns in nicht enden wollender saisonaler Litanei den wurstigen Norweger-Rollkragenpulli aufschwatzte, der bis über die Nieren reicht, und den schweren Wollmantel, der in die Kniekehlen geht. Aber deshalb sich grün- und blaufrieren, auf ein rasches Fortschreiten der Klimakatastrophe hoffen, Stirnhöhlenkatarrh riskieren, nur noch tröpfelnd sich erleichtern wg. Blasen- oder Nierenbeckenentzündung?
Nein. Prävention soll unser Motto sein und das Mittel dazu die lange Unterhose, dann bleiben Wärmflasche, Blasentee und die Zitronen im praktischen Zwei-Kilo-Netz unangetastet, den ganzen Winter lang. Und energiegespart wird auch, denn drinnen läßt sich so gekleidet der Thermostat kaum noch hochdrehen.
Bewußte Männer setzen ein Zeichen der Schwäche und Vernunft, erkennen falsche Vorbilder. Etwa den jungen Herrn, den mann noch vom Schulhof kennt, ob sommers, ob winters mit Kürzestlederjacke und nur einem T-Shirt drunter, dazu noch kettenrauchend und vitaminverachtend. Wen eigentlich geht im Dezember unser Brusthaar etwas an? Und: Warum sollen wir bibbern, nur weil die (baum)wollene Unterschicht etwas aufträgt und unser Untergestell etwas fetter aussehen läßt? Unter einer Jeans sind die blaugrauen und weißen Dinger doch kaum zu bemerken. Es gibt zudem moderne dünne, fast durchscheinende Ware, die dennoch aus reiner Schurwolle ist. Was spricht gegen den femininen Bodysuit — es muß ja nicht ein so grelles Modell sein, wie es unser Herr Hackl auf der Rennrodelbahn trägt.
Auch die angeblich fatalen Auswirkungen der langen U-Hose auf die sexuelle Attraktivität des Trägers sind ein negativer Mythos. Wer sie stolz und guten Gewissens trägt, wird darin nicht so flach aussehen wie das Otto-, Bader-, Neckermann- oder Wentz-Modell aus dem Katalog oder von der Packung — nein, eher wie einer, der sich seit dem sechsten Lebensjahr beim Ballett selbst modelliert. Außerdem: Wer vögelt schon bei Fotostudiolicht? Und: Fetischismus ist überall. Auch im Reich des Feinripps. Ebenso kann die eingeschränkte Vorspieltauglichkeit von Praktikern kaum bestätigt werden. [Außerdem, auspacken macht um so mehr Spaß, je mehr Lagen auszuwickeln sind, siehe unter »Weihnachten« d. säzzer] Eine Lage mehr hat ihren Reiz, durch die Kälteresistenz wird auch im Hauseingang und im Park einiges mehr möglich.
Wer sich beim Surfen notorisch mit Neopren umgibt, auf dem Motorrad die Nieren gurtet und an der Küste den Friesenerz nicht scheut, der hat keine bloß ästhetisch unbegründeten Ausreden mehr frei. Denn was dem rauhen Marlboro-Mann mit seinem aufknöpfbaren Unter-Overall recht ist, das ist der androgynen Lockenmatte mit der Levi's ja wohl billig. Hans-Hermann Kotte
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