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Die Träume des Sugar Ray Leonard

■ Der eleganteste und perfekteste Boxer seit Muhammad Ali steuert seinen sechsten Weltmeistertitel an

New York (dpa) — Es ist ein ganz einfacher Traum: Sugar Ray Leonard wacht am Sonntag morgen auf, die Augen sind noch klein von einer langen Samstagnacht in New York, aber unverletzt, und vor der Tür seiner Hotelsuite liegen fünf verschiedene Sonntagsausgaben, alle mit seinem strahlenden Gesicht auf der Titelseite und der Unterzeile: „Zuckersüßer Sieg für Sugar Ray“. Der 34jährige wird dem ehemaligen Box- Mekka Madison Square Garden, das seit Jahren nur noch zweitklassige Kämpfe zeigt, mit einem eindrucksvollen Erfolg gegen Terry Norris (beide USA) im Kampf um die WBC- Krone im Superweltergewicht für Stunden zu altem Glanz verholfen haben und von seinen Kritikern wieder als Erbe Muhammad Alis bezeichnet werden. Der schlagkräftige Gentleman wird dann zum sechsten Mal seinen Rücktritt verkünden, Monate später seinen nächsten Gegner bekanntgeben und seine zahlreichen Fans entzücken. Der Kampf Leonard—Norris steigt am Sonntag (03.50 Uhr MESZ).

Leonard hat sich den amerikanischen Traum längst erfüllt, aber er träumt weiter. Manchmal wirkt er dabei wie ein als Erwachsener verkleidetes kleines Kind, das glaubt, daß all seine Phantasien im voraus von jemandem geplant sind. Der Sohn eines Kistenträgers auf dem Gemüsemarkt von Wilmington ist ein Typ, so sein Rechtsanwalt Mike Trainer, „der auf einem zugefrorenen Teich ununterbrochen auf das große Loch in der Mitte starrt und von der Frage gereizt wird, wie nahe er sich dem Loch nähern kann“.

Es reizt Leonard auch, gegen Norris zu boxen, der nur sechs Jahre älter ist als sein Sohn Ray Jr., schnelle Hände und einen gefährlichen linken Haken hat. Norris war neun, als Leonard 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal Gold gewann, und damals war Leonard das Größte für seinen jetzigen Gegner. „Es ist der wichtigste Kampf meines Lebens, ich muß gewinnen“, sagte Außenseiter Norris, früher ein vielversprechendes Baseball-Talent. „Ich bin sicher, Ray hat mich gewählt, weil er glaubt, er kann mich besiegen, aber das kann er nicht.“ 500.000 Dollar bekommt der Titelverteidiger für seinen 30. Profikampf (26 Siege, 3 Niederlagen), Leonard streicht fünf Millionen ein, so wenig wie seit 1984 nicht mehr.

Im November wurden Leonard und seine Frau Juanita geschieden. Sein geschätztes Vermögen von 100 Millionen Dollar wurde aufgeteilt, Leonard durfte das Haus mit neun Fernsehern und 15 Kameras in Potomac/Maryland behalten, und der kurzzeitig gestörte Traum ging weiter. Der Champion in fünf verschiedenen Gewichtsklassen ist gierig. „Ich werde immer mehr wollen“, sagte er, „ich rede nicht von Geld, ich meine mehr für meine Kinder. Es ist niemals genug, niemals.“ Die Worte verraten eine stille Stärke, die er vom Vater haben soll, und vom Großvater, der, so sagen Gerüchte, irgendwo in South Carolina einmal ein Maultier mit einem Faustschlag niederstreckte.

Leonard ist nicht mehr so jung, frisch und stark wie früher, aber er boxt weiter. Es wäre ihm zu einfach, schon jetzt einen glanzvollen Abgang zu nehmen mit dem Hinweis, sein letzter großer Kampf war die Demontage von Roberto Duran im Dezember 1989. Sein Ego scheint unersättlich. „Lieber habe ich einen Kampf zuviel als einen zuwenig. Ich höre dann auf, wenn ich fühle, es ist Zeit“, sagt er, „ich will immer mehr, immer.“ Sven Busch

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