: Kein Geld für die Kids im Osten
Bonn und die neuen Länder pokern um den Erhalt der Kindergärten und Krippen/ Bundesregierung bewilligte Zuschuß von nur dreißig Prozent/ Frauenministerin Merkel setzt auf Länderfinanzausgleich ■ Von Helga Lukoschat
Berlin (taz) — Die kleinen Gemeinden in den neuen Bundesländern wissen sich nicht mehr zu helfen: Die Kassen sind leer, wie sollen sie ihre Kindergärten und Krippen bezahlen? Die Finanzierung aus Bonn ist seit Jahresbeginn ausgefallen, und neue Zuschüsse sind noch nicht ausgehandelt, auch bei den Ländermitteln hapert es. Und die Eltern können angesichts der Arbeitsmarktlage nur begrenzt zur Kasse gebeten werden. Was also tun? Dichtmachen? Allerorten zwischen Suhl und Schwerin erreichen die PolitikerInnen dramatische Hilferufe.
Bonn und die neuen Länder pokern noch darum, wie hoch der Bundeszuschuß für die Zeit bis zum 30.Juni 91 ausfallen wird, zu dem sich Bonn laut Einigungsvertrag verpflichtet hat. Bundesfinanzminister Waigel (CSU) will nur noch eine Milliarde DM herausrücken, das sind knapp 30 Prozent der Gesamtkosten von 3,466 Milliarden DM, die der Erhalt der ostdeutschen Krippen, Kindergärten und Hortplätze im kommenden halben Jahr kosten würde. Die Länder hatten einen Zuschuß von 80 Prozent gefordert, waren schließlich auf 50 Prozent heruntergegangen. Doch solange Bonn und Länder sich nicht einigen, gibt es kein Geld. Das macht die Länder erpreßbar, sich auf das unzureichende Bonner Angebot einzulassen.
Am Freitag letzter Woche machte sich die neue Jugend- und Frauenministerin Angela Merkel (CDU) auf den Weg nach Berlin, um mit Vertretern der Länder eine „pragmatische Lösung“ für die angespannte Situation zu suchen. „Es ist mein ureigenstes Interese, daß die Einrichtungen in den Ländern der ehemaligen DDR erhalten bleiben“, versicherte die Ministerin nach dem Treffen gegenüber der taz. Doch die Newcomerin aus Mecklenburg, der eine „solide DDR-Identität“ nachgesagt wird, hatte wenig im Gepäck, was Anlaß zur Hoffnung geben könnte. Denn Bundesfinanzminister Waigel hat aus seiner Sicht das letzte Wort schon gesprochen. Die Verwaltungsvereinbarung über die eine Milliarde DM wurde in den letzten Tagen bereits fertiggestellt. Unterschreiben die Länder, so erklärte Ministerin Merkel, stehen die Bonner Gelder unmittelbar und in voller Höhe zur Verfügung. Mit „Fortschritten“ in den Verhandlungen rechnet Merkel Mitte der Woche.
Immerhin zeigte sich die Ministerin voller Anteilnahme: „Die Enttäuschung der Länderminister kann ich verstehen.“ Im Einigungsvertrag war ausgehandelt worden, daß der Bund für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 91 eine Kostenbeteiligung übernimmt, um „die Weiterführung der Einrichtungen zur Tagesbetreuung von Kindern zu gewährleisten“. Die neuen Bundesländer hatten das als Zusage zur Vollfinanzierung verstanden. Der Bund bezahlte auch brav bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres. Dann aber hieß es aus Bonn unvermittelt — die Wahl war schließlich gewonnen — im Einigungsvertrag sei nur von einer Beteiligung und keinesfalls von einer Vollfinanzierung die Rede. „Hier gab es ganz unterschiedliche Erwartungen“, bestätigt ein hochrangiger Mitarbeiter im Bonner Jugend- und Frauenministerium.
Wenn Bonn bei den 30 Prozent bleibt, so die Prognose eines Experten des Deutschen Städtetags, Jürgen Blenk, werden im kommenden Halbjahr die Kommunen ihre Plätze in Krippe, Kindergarten und Hort um 20 Prozent, danach gar um 50 Prozent reduzieren müssen. Dabei wird folgende Rechnung aufgemacht: 20 Prozent der Kosten werden künftig über Elternbeiträge hereinkommen — die zwischen 60 und 70 DM für einen Kindergartenplatz liegen dürften. Die Länder werden voraussichtlich 20 Prozent zuschießen. Die restlichen 30 Prozent müssen dann die Kommunen heranschaffen — womit sie bei der katastrophalen Finanzsituation restlos überfordert sind. Die Alternative heißt dann drastische Reduzierung des Angebots oder, für die Einrichtungen in den kleineren Gemeinden, Schließung. Auch wenn davon auszugehen ist, daß in der Ex- DDR eine Überkapazität bestand und etwa 10 Prozent der Plätze abgebaut werden können, werden die neuen Länder damit auf das westdeutsche Niveau der Unterversorgung herabgedrückt — obwohl Bonn in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben hat, endlich bundesweit einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab 3 Jahren zu schaffen. Denn im westdeutschen Durchschnitt liegt der Versorgungsgrad mit Kindergärten bei nur 65 Prozent (in der ehemaligen DDR: 95 Prozent). Und nur für 12 Prozent der Kinder in den alten Ländern ist überhaupt eine Ganztagsbetreuung möglich.
Frauenministerin Angela Merkel hofft nun, daß im Rahmen der Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich eine längerfristige Lösung gefunden wird. Nach ihrer Vorstellung sollen von den Mitteln, die in die ostdeutschen Länder auf diesem Wege fließen sollen, Gelder für die ostdeutschen Kindergärten und Krippen zweckgebunden werden. Damit würde ein ganz neuer Weg beschritten — nur hat er wenig Chancen, realisiert zu werden. Die westdeutschen Länder wollen von einer stärkeren Beteiligung der ostdeutschen Länder am Finanzausgleich immer noch nichts wissen, sondern setzen auf einmalige Zahlungen. Und die Zweckgebundenheit für die Kindergärten könnte auch bei den Finanz- und Wirtschaftsministern der neuen Länder nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen.
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