: Durchschaut-betr.: "Abstraktionsidylle" (Die Grünen in der Weltrisikogesellschaft) von Ulrich Beck, taz vom 5.2.91
betr.: „Abstraktionsidylle“ (Die Grünen in der Weltrisikogesellschaft) von Ulrich Beck,
taz vom 5.2.91
[...] Zunächst möchte ich Beck die Lektüre des grünen Parteiprogramms empfehlen, das eine Menge konkreter Vorschläge zur Gestaltung einer friedlicheren und besseren Welt enthält. Daß ein Großteil hiervon nicht umgesetzt werden kann, ist vor allem eine Frage der politischen Macht (aber politische Macht ist nichts, worüber Beck redet: Die Bundestagsdiskussion um die Entscheidungskompetenz im Kriegsfall ist für ihn „abstrakt“ und nicht etwa ein notwendiger Kampf gegen die entstehende Kanzlerdemokratie). Ein anderer Teil der Ideen wird jedoch realisiert, langsam, mühsam, von der Basis nämlich. Bemühungen, die Beck — selbst ein Vertreter der großen Worte statt der kleinen Schritte — nicht wahrzunehmen, geschweige denn zu würdigen in der Lage ist. [...]
Bemühungen, deren Grundlage und Erfolg gleichermaßen diese radikale Friedensliebe besonders junger Menschen ist, die — und auch das hat Beck nicht begriffen — eben nicht mehr auf die Massenpsychologie der herrschenden, veröffentlichten Weltmeinung („die Deutschen“, „Verantwortung tragen“, „Drückeberger“) reagieren, sondern feststellen, daß nicht „Deutschland“, sondern die Industrie Waffen exportiert hat (also soll die Industrie den Israelis Abbitte leisten und Unterstützung gewähren), daß „Verantwortung“ von den Damen und Herren PolitikerInnen besonders gern im Krieg getragen wird (ab in die Wüste, alle Befürworter!) und daß die pazifistischen deutschen „Drückeberger“ ihre historische Lektion gelernt haben, politisch reifer als ihre martialischen Nachbarn sind und nach Beendigung des Krieges vor allem lebendiger sein werden (wie die Japaner, deren Friedensbewegung kein Mensch als Drückeberger titutliert).
Die konkreten historischen Ursprünge und Folgen der Dolchstoßlegenden jeglicher Couleur — und dazu gehört auch Becks Formulierung vom „Zuschauer- und Zuliefererland Germany“ — werden durchschaut und ihres unerträglichen pompösen Pathos („demokratische, friedliebende Nationen können gerechten Krieg führen“) entkleidet: Diese realisitsche Demontage bezeichnet Beck in wohlgesetzten Worten (aber so was von daneben) als „Abstraktionsidylle“. [...] Herr Beck sollte sich überlegen, welche „urdeutschen“ Grundströmungen seinen Betrachtungen zugrunde liegen. Seinen wehrlosen Lesern zum Abschluß folgende Zeilen Erich Kästners: „Was auch geschieht: Nie dürft ihr so weit sinken,/ von dem Kakao, durch den man euch zieht,/ auch noch zu trinken.“ U.Bender-Wittmann, Bernsen
[...] Die Grünen sind die einzigen, die ganz offen im Namen ihrer Systemüberwindung zur Umweltzerstörung aufrufen. Beck konstatiert uns eine Abstraktions-Umwelt- Idylle; der Denkprovinzler in seiner Hilflosigkeit erklärt kraftmeierisch die naturwissenschaftlichen Determinanten menschlichen Verhaltens zu einer „Denkprovinz im Weltmaßstab“.
Dies belegt abermals das Versagen der Grünen gegenüber ihrer objektiven politischen Aufgabe und damit die Notwendigkeit ihrer Wahlniederlage. Günter Neumann, Ost-Berlin
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