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Unterleibsschmerzen

■ Uraufführung von Florian Felix Weyhs Memmingen-Stück

Eine besondere Gewürzzutat in Florian Felix Weyhs Fast-Food-Gericht: Eine Richterin verhört die fünf Frauen, deren Namen man in der Kartei des Memminger Frauenarztes fand und an denen die bayrische Justiz ein Exempel statuierte. Haben sie ein I? oder der schwere Gang der Zeuginnen zu M. heißt das Gericht und ist wie sein Titel: ungenießbar. Im Falle der Richterin weiß man von vorneherein, daß auch sie dereinst abgetrieben hat.

Und wahrlich. Gegen Ende wird das offensichtliche Geheimnis enthüllt. Weyh wollte besonders drastisch die Doppelmoral des Memminger Prozesses vorführen, was den Wiesbadener Uraufführungsregisseur so beeindruckt haben muß, daß er gleich noch einen drauf setzte. Seine Richterin dringt mit ihren Fragen in die Intimsphäre der Frauen ein, während sich ihr der Neid in die Augen schleicht. Eine alte Jungfer, eine verkorkste und vertrocknete CSU-Karrieristin, die sich an den fünf Frauen rächt.

Die Frauen krümmen sich und haben Unterleibsschmerzen. Das soll wohl eine Reaktion auf die Abtreibung sein. Wo es um die innere Befindlichkeit der Frauen gehen sollte, etwa darum, ob die Frauen im Gericht wieder vereinzelt und allein gelassen die Situation bewältigen müssen, hat sich Florian Felix Weyh in umtriebiges Getue geflüchtet, immer in Sorge, man könnte bemerken, daß ihn die fünf Frauen eigentlich gar nicht interessieren.

Am Ende bleibt nur die Frage: Warum schrieb er überhaupt ein Stück mit dem festen Vorsatz, sich an der eigentlichen Problematik vorbeizumogeln und auf Nebengleisen zu landen. Daß die Frauen im Gerichtsgebäude Solidarität entwickeln, ist eine dieser Nebenstrecken — eine verwegene Behauptung, die er nur deshalb aufstellt, damit das Stück weitergehen kann. Nach einem Drittel nämlich sieht es schon so aus, als habe der Autor sein Pulver verschossen, dann aber zieht er den Solidaritäts-Hasen aus dem Hut. Zuerst einmal muß die Richterin zeitweilig verschwinden, was Florian Felix Weyh auf folgende Weise erledigt — sie geht zum Essen, Schweinshaxen mit Knödel.

Die Frauen sind unter sich, und die Zeit ist reif. Regisseur Johannes Klaus hat endlich Gelegenheit, aus den Frauen eine Sing- und Solidaritäts-Spielgruppe zu machen. Die ältere Bäckereibesitzerin Irmi Mantel hatte ein Verhältnis mit dem Gesellen und trieb ab, obwohl sie stramm konservativ ist. Am Anfang beschimpft sie die anderen Frauen, insbesondere die Türkin Aycihan ist Ziel ihrer Ausländerfeindlichkeit. Dann aber wird sie kurz von der Richterin verhört, schwenkt wundersamerweise um und gehört fortan zu der Frauengruppe. Auf Wiesbadens Bühne wird's musicallustig — warum nicht.

Wollüstig

Neben der Richterin übt sich ein junger Rechtsreferendar wollüstig in der üblen Kunst der Intimausfragerei, wodurch sich in die Wiesbadener Inszenierung wenigstens ein etwas schriller Ton einschleicht. Es versteht sich, daß er es auf den Posten der Richterin abgesehen hat und daß beide wie nebenbei in die Abgründe provinzieller Parteimachtkämpfe blicken lassen. Daß Weyh den Rand seiner Memmingen-Geschichte so lapidar ausfransen läßt, würde vielleicht gar nicht so unangenehm auffallen, hätte er nicht im Zentrum so danebengegriffen.

Wenn er sich denn doch einmal aufrafft und einer der Frauen eine Geschichte auf den Leib konstruiert, glaubt man seinen Ohren nicht trauen zu dürfen: Die Türkin Aycihan hat einen deutschen Liebhaber, mußte abtreiben, und dann stahl sie. Warum? Damit ihr türkischer Ehemann dachte, das sei der Grund, warum die deutsche Polizei vor der Haustür steht. Er läßt die Türkin schrill lachen und anzüglichen Frohsinn verbreiten. Kaum zu glauben, daß solch eine Geschichte inszenatorisch noch unterboten werden kann — Johannes Klaus in Wiesbaden schafft es. Jürgen Berger

Florian Felix Weyh: Haben sie ein I? oder der schwere Gang der Zeuginnen von M. Regie: Johannes Klaus. Ausstattung: Reinhard Wust. Mit Sarah Camp, Maja Scholz, Figen Canatalay, Alexandra Wilcke, Christa Wettstein, Rosemarie Schubert, Evelyn Faber, Benjamin Krämer-Jenster.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden. Weitere Aufführungen: 14., 15., 17., 20., 21. und 27. Februar.

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