Männer bei der Arbeit

■ James Rosenquist in der Galerie Sonne

Gigantische Lippenstifte stoßen wie Raketenköpfe aus der Bildtiefe in den Raum vor in einer Collage von James Rosenquist: House of Fire. Als Anfang der sechziger Jahre Roy Lichtenstein gerasterte Comic-Bilder zu Leinwandgröße aufblies und Warhol Suppendosen zum bildwürdigen Gegenstand erhob, war es die Spezialität von James Rosenquist, der als Industrie-Designer und Maler von Plakatwänden konkrete Erfahrungen über die Funktionsweisen der visuellen Botschaften der Werbung gesammelt hatte, standardisierte und vertraute Objekte in isolierten Ausschnitten und gigantischen Vergrößerungen so zu präsentieren, daß sie unheimlich fremd, fast wie ein Stück kaum lesbare abstrakte Malerei wirkten.

Ähnliche Vergrößerungen banaler Details prägen fast dreißig Jahre später den sogenannten Einleitungsessay von Judith Goldmann in einem Katalog über die gemeinsame Arbeit von Rosenquist und Kenneth Tyler, einem Drucker und Herausgeber von Editionen. Im Stil einer Reportage, angereichert mit Close-ups der Kleidung und der Gesten der Protagonisten, kolportiert sie die Erfolgsstory zweier Pioniere an der Druckerpresse. Bewegend wie einst die Legenden vom armen Erfinder, der zum industriellen Boß aufstieg, wird aus der Begegnung zweier kunstbesessener Workoholics eine amerikanische Sage über den unbedingten Willen zum Erfolg, der in unzähligen ermüdenden Versuchen und gegen drohendes Scheitern erfochten wird. Männer bei der Arbeit: Vielleicht erlaubt nur noch die Kunst, dies Erlebnis ungetrübt von zivilisationskritischen Zwischenrufen zu erzählen. Dort scheint noch ungebrochen von ökonomischen und ökologischen Katastrophen die Wachstumseuphorie und der naive Glaube an den Fortschritt des ‘größer, weiter und besser‚ zu gelten. »Tyler asked him what he wanted to do. ‘I want to make prints as big as paintings‚ Rosenquist answered. ‘O.K.‚, Tyler replied, ‘I'll make the biggest pieces of handmade paper you've ever seen‚«, schreibt Goldmann.

Um dieses Versprechen einzulösen, konstruierte Tyler eigens für Rosenquist eine gigantische Papierpresse. Gemeinsam bauten sie spezielle Rahmen und Schablonen, um den Farbfluß in der Papiermasse zu steuern und zu kontrollieren. Für den Maler wurde es damit möglich, in Tylers Druckerei Formprobleme, die ihn vorher mit dem Pinsel an der Leinwand beschäftigt hatten, experimentell zu verfolgen. Das gefärbte Papier diente Rosenquist, um die farbigen Flächen mit einem neuen Volumen und einer taktilen Oberfläche zu versehen.

Die Serie Welcome to the Waterplanet entstand als Ergebnis der Zusammenarbeit. Zu jedem Blatt liefert der Katalog nicht nur Maße und Titel, sondern auch die Anzahl der Farben und eine lange Liste der für die einzelnen Partien verantwortlichen Mitarbeiter. Diese Credits lesen sich wie der Abspann eines Films oder die technischen Angaben über einen neuen Prototyp der Industrie und dienen nicht zuletzt dazu, die Preise von 20.000 bis 100.000 Dollar für jede Collage zu rechtfertigen: Gekauft wird nicht nur ideeller Kunstwert sondern auch handwerklich erarbeitete Qualität.

Rosenquist leistet sich den Luxus der individuellen Manipulation einer Technik der Reproduktion. Auf die handgefertigten Papierbögen ließ er eigens dafür erstellte und zu schmalen Bändern zerschlitzte Lithographien kleben. In ihnen ist die vorgefertigte Bildwelt der Pop Art zur farbigen Spur zusammengeschrumpft und zum Ornament degradiert. Erkennbar werden Augen, Fingerspitzen, Münder; Reste jener monumentalisierten Klischees, die Rosenquist früher in seinen Bildern in schockierend nahen Ansichten montierte. Der Kult des Gegenständlichen, der den Augensinn des Betrachter mit der Ausschließlichkeit des Objekts fast terrorisierte, löst sich in diesen Streifen auf und tritt zugunsten der kosmisch wallenden Farbnebel der Untergründe zurück. Wolkig, von Kratern und Sternenlichtern durchzogen, ergießt sich die Farbe in elementaren Ausbrüchen und schwelgt in schöpfungsähnlichen Gewalten. Diese Farbergüsse wirken wie dramatisierte und banalisierte Versionen der abstrakten amerikanischen Malerei zwischen Jackson Pollock und Mark Rothko.

Einst demonstrierten die Pop-Artisten die Zerstörung der Aura des Originals, das in den Fluten der Reproduktionen unterging. Indem sie den Prozeß umkehrten und die Bilder der Massenkultur als Anlaß für originale Kunstwerke nahmen, gestanden sie den populären Bildwelten ihren Anteil an der Formung der Wirklichkeit zu. Diese Geste relativiert Rosenquist formal und inhaltlich. Er gebraucht die Drucktechniken nicht als reproduzierendes Instrument, sondern zur Herstellung individueller Originale und betont in den großen Formaten die Spezifität des Materials, die nur am Original wahrgenommen werden kann. Die synthetische Wirklichkeit der präfigurierten Bildwelten drängt er zurück zugunsten einer im Bild geschaffenen neuen Realität. Mit der Farbdichte suggeriert er Tiefe und Räumlichkeit, während die Popkunst gerade vom Bewußtsein der Flächigkeit der Bildwelt ausging. Katrin Bettina Müller

James Rosenquist: Welcome to the Waterplanet und House of Fire in der Galerie Sonne, Kantstr. 138, bis 6. April, di-fr 11-13 und 15-18.30, sa 11-14 Uhr.