: Moskau im Zentrum der Golf-Diplomatie
■ Irakischer Außenminister trifft heute Gorbatschow — letzte Chance für Waffenstillstand?/ Bodenoffensive auf sowjetischen Wunsch nicht vor Dienstag/ Bagdads UN-Botschafter interpretiert jüngsten Vorschlag: Keine Rede von „Bedingungen“
Berlin (taz) — Zuerst Teheran, dann Moskau: In der sowjetischen Hauptstadt geben sich derzeit Politiker in Sachen Vermittlungsbemühungen im Golfkrieg die Klinke in die Hand. Am Sonntag wurde der irakische Außenminister Tarik Aziz nach einem Zwischenstop in Teheran in Moskau erwartet. Dies ist der vorläufige Höhepunkt auf der Suche nach einer Beilegung des Konfliktes mit friedlichen Mitteln.
Er erfolgt zwei Tage nach der Aufsehen erregenden Rückzugserklärung der irakischen Führung. Zuvor hatten bereits der kuwaitische und der iranische Außenminister in Moskau vorgesprochen; am Samstag hielt sich eine Troika der EG-Außenminister aus Luxemburg, Italien und den Niederlanden in der sowjetischen Hauptstadt auf. Aber die Regierung in Teheran ist weiter mit von der Partie: „Demnächst“ solle eine hochrangige iranische Delegation in die Hauptstadt des Iraks reisen, hieß es.
Am Vorabend der Aziz-Visite in Moskau hatte US-Verteidigungsminister Richard Cheney klargestellt, daß die Administration in Washington jeden Kompromiß ablehnt und auf einen vollständigen und bedingungslosen Rückzug des Iraks aus Kuwait beharrt. Eine Feuerpause ermögliche es dem Irak nur, Reparaturen vorzunehmen, Truppen zu verlegen und den Verbündeten so schweren Schaden zuzufügen.
Pentagon-Sprecher Pete Williams nannte die Gespräche von Aziz in Moskau eine „Randerscheinung“. Eine Randerscheinung allerdings, die immerhin zur Zusicherung Bushs an Gorbatschow führte, die Bodenoffensive nicht vor Dienstag, also erst nach dem Aziz-Besuch, zu beginnen. Gorbatschow hatte am Donnerstag in einem Brief an den US- Präsidenten um diese Verschiebung gebeten. In Washington hieß es dazu, vor Dienstag sei ein Angriff der Bodentruppen ohnehin nicht geplant gewesen. In den USA wird nun für Mittwoch mit dem Großangriff gerechnet.
Nach dem kategorischen Nein der USA und ihrer Verbündeten erläuterte der irakische UN-Botschafter Abdul Amir Al Anbari am Samstag den jünsten Vorschlag seines Landes. Diesen Ausführungen zufolge möchte der Irak mit den USA und den wichtigsten Kriegsgegnern über den Abzug aus Kuwait und gleichzeitig über die in dem neuen Rückzugs- und Waffenstillstandsangebot Bagdads aufgeworfenen Konditionen verhandeln.
Anbari forderte, daß zunächst das „Verhandlungsprinzip“ akzeptiert werden solle. Er bezeichnete die zahlreichen irakischen Forderungen jedoch nicht als „Bedingungen“, sondern „Sachverhalte“ („issues“), über die Bagdad zu Verhandlungen bereit sei. Einige der offenen Fragen, die von finanziellen Forderungen über das Palästina-Problem bis zur künftigen Regierung Kuwaits reichen, könnten sofort entschieden werden, andere würden Monate in Anspruch nehmen.
Der UN-Botschafter nannte die Initiative Bagdads „nichts Endgültiges“. Sie erfoderten „weitere Verhandlungen“, die ohne Vorbedingungen sein müßten. Ein Truppenabzug ohne einen Waffenstillstand sei jedoch nicht möglich, erklärte Anbari. Für die USA und ihre Verbündeten hingegen ist ein vorheriger irakischer Abzug aus Kuwait conditio sine qua non für eine Feuerpause.
In der arabischen Welt wird in dem Treffen Gorbatschows mit Aziz allgemein die letzte Chance für einen Waffenstillstand gesehen. Sollte der Irak jedoch keine substantiellen Abstriche von den „Bedingungen“ machen, dürfte die Bodenoffensive nicht mehr aufzuhalten sein.
Die Sowjetunion relativierte am Freitag abend ihre erste, positive, Bewertung des irakischen Vorschlags. Die UdSSR hoffe, daß der Vorschlag ein „Schritt in Richtung Frieden und nicht die Fortsetzung einer sterilen Propagandakampagne“ sei, hieß es in einer Stellungnahme des sowjetischen Außenamtssprechers Witali Tschurkin. Diese Äußerung animierte Bush dazu, die „konstruktive Rolle“ Moskaus für die Beendigung des Golfkrieges zu loben.
Der Besuch der EG-Troika bot der Moskauer Führung zudem nochmals die Gelegenheit, im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung deutlich zu machen, daß sie hinter den Zielen der antiirakischen Koalition und den UN-Resolutionen zur Wiederherstellung der Souveränität Kuwaits steht.
Nach Einschätzung des luxemburgischen Außenministers und derzeitigen EG-Ratsvorsitzenden Jaques Poos könnte die UdSSR allerdings ihre bisherige Position überdenken, sollte der Golfkrieg zu viele Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung fordern. B.S.
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