piwik no script img

Heiraten ist teurer geworden

Wohnraumbewirtschaftung kein Ehegrund mehr/ Bleibt die Scheidung umsonst?  ■ Von Samira Sachse

Die Leipziger scheinen ihren Familienstand heutzutage nicht mehr so gerne verändern zu wollen wie noch in „alten Zeiten“. Wer einmal verheiratet ist, bleibt laut Statistik jetzt lieber zusammen. Und wer ledig ist, möchte es auch weiterhin sein.

In der Messestadt ist die Zahl der Eheschließungen in den vergangenen zwei Jahren um rund ein Viertel zurückgegangen. Diese Tendenz halte an, stellte Standesamtsleiter Dr. Hans-Joachim Fiedler fest. Einen Grund dafür sieht er in der veränderten Wohnungspolitik. „Heiraten aus der Wohnungsnot heraus gibt es nicht mehr.“ Es werde jetzt auch wieder öfter kirchlich geheiratet. Außerdem sei in den alten Bundesländern das durchschnittliche Heiratsalter um mindestens fünf Jahre höher als in der ehemaligen DDR. „Ganz vernünftig“, lautete sein Kommentar, „denn viel zu oft hat jung gefreit auch schnell gereut.“ Die DDR galt immerhin als eines der scheidungsfreudigsten Länder der Welt.

Noch 1989, berichete Andreas Irmscher, Leiter der Familienkammer Leipzig, sei in rund 5.800 Ehe- und Familiensachen verhandelt worden. Demgegenüber gaben sich etwa 4.900 Paare das Ja-Wort. „Doch seit dem vergangenen Jahr nahm die Zahl der Scheidungen klar ab.“ Gründe dafür sieht er in den stark veränderten Lebensbedingungen und der Zunahme von sozialen Unsicherheiten sowie auch in den veränderten Scheidungsbedingungen.

Nach dem seit Oktober 1990 geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch müssen zm Beispiel scheidungswillige Partner mindestens ein Jahr tatsächlich getrennt leben, um vor den Richter treten zu können. Außerdem, so Irmscher, spiele die Angst der Betroffenen vor eventuell riesigen Kosten eine nicht unbedeutende Rolle. Ein Trugschluß: Denn, so seltsam es anmuten mag: Der Preis für die Eheschließung hat sich versechsfacht, die Scheidung hingegen kann fast kostenlos sein. „Nur wissen die meisten Ex-DDR-Bürger wenig von den speziellen Bestimmungen“, erläutert Irmscher. Doch damit wolle er keineswegs für mehr Scheidungen werben. „Im Gegenteil, denn das bürgerliche Recht ist voll darauf ausgerichtet, alles für den Erhalt der Ehe zu tun“, ergänzte Irmscher. Hinzu kommt, daß es in Leipzig auch organisatorische Probleme bei einer erneuten Zunahme der Trennungen gäbe. Nur vier Richter verhandeln zur Zeit in der Stadt Ehe- und Familiensachen. Die Wartezeiten auf ein Verfahren betragen vier bis fünf Monate. Vielleicht liegt es da nahe, Wilhelm Buschs Worte zu bedenken: „Meistens hat, wenn zwei sich scheiden, einer etwas mehr zu leiden.“ adn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen