: Versorgungsclans in der Politik
Keinen überrascht es mehr, aber jeder ist entrüstet: Der Fall Griesche verdeutlicht wieder einmal den SPD-Filz in Bremen. Die Genossen schanzen sich Posten zu. Die CDU bringt das, was ihr Skandal zu sein scheint, vor die Bürgerschaft.
Bis jetzt hat jeder den Fall Griesche falsch diskutiert, der in ihm altbekannten SPD-Filz sieht. Die Sache ist viel komplizierter, weil hier an einem Beispiel Politikverhalten deutlich wird, das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern international quer durch alle politischen Lager üblich und normal angesehen wird. Bremer Spezialität ist wohl nur, daß das, was gemeinhin sehr diskret erledigt wird, in großspurigen Worten schriftlich festgehalten und dann von den Betroffenen selbst verbreitet wird. Sonst ist nichts Besonderes an dem Fall.
Politische Entscheidungen sind nur sehr selten Zwangsläufigkeiten. In der Regel kann zwischen verschiedenen Möglichkeiten gewählt werden, die alle ihre guten Gründe haben. Letzte Wahrheiten kennt die Politik nicht. Wer als erfolgreicher Politiker seine Entscheidungen durchsetzen will, braucht allemal Bündnispartner. Er muß Interessen bündeln, die zunächst auseinandergehen. Solche Bündnisse kommen niemals durch Argumente und Einsichten zustande, sondern nur durch Interessenausgleiche: Hilf mir, dann helfe ich Dir. Wer solche politischen Geschäfte verachtet, muß sich aus der Politik heraushalten. Da es immer einzelne Menschen sind, die ihre Interessenausgleiche vollziehen, bringen sie selbstredend auch ihre persönlichen Interessen ins Spiel.
Auf unseren Fall bezogen: Überall, wo Abgeordnete vor dem Pensionsalter aus den Parlamenten ausscheiden, sind sie schon früh darauf bedacht, ihre persönlichen Verhältnisse abzusichern. Fraktionsvorstände und Regierungen helfen ihnen. Die Solidarität mit den Ausscheidenden ist dabei so groß, daß die Regierungsmehrheit auch bei der Unterbringung mit Mitgliedern der Opposition hilft. Das galt und gilt natürlich auch für Bremen. Kudella ist entweder scheinheilig oder ein Dummkopf, wenn er jetzt einen SPD-Skandal daraus machen will. Aus dem Quell trinkt auch die Opposition von jeglicher Farbe gern.
Ist das verwerflich? Es gibt ohne Zweifel auch kluge und sehr tüchtige Abgeordnete, die darunter leiden, daß es keinen Abgeordneten-Beruf gibt, der nach 40 Dienstjahren zur Rente führt. Der Weg aus dem Parlament ist für sie ein jäher Bruch. Ihnen zu helfen in einem womöglich einst erlernten Beruf gut Fuß zu fassen, braucht keinen zu genieren.
In Verruf kommen Kumpaneien, die dazu führen, verdiente Nullen groß hinaufzuhieven. In der Politik sind solche Versorgungs-Clans nicht unüblich. Habermas nennt das die Refeudalisierung der Politik. Grass nannte das auf spezielle Bremer Verhältnisse bezogen Bolljanismus.
Die Grenze zwischen legitimer Hilfe für einen Tüchtigen und dem Nulpenlift ist sicherlich schwer zu ziehen. Der Politik darf das Feld um Gotteswillen nicht allein überlassen werden. Am Ende verschlingen nämlich die Kungel- Geschäfte auch jene, die mit Skrupeln an die Sache gehen. Hier hilft nur Öffentlichkeit. Es muß deutlich über den einzelnen Vorgang geredet werden. Eine adäquate Karriere läßt sich für gute Leute allemal begründen. Schlimm wird es, wenn Fliegengewichte in schwere Sessel geschnallt werden sollen. Die Bürgerschaftsdebatte in dieser Woche wird deutlich machen, welcher Fall hier vorliegt. Thomas Franke (Bildungssenator im Ruhestand)
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