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»Wann ist man als Obdachloser gefragt?«

■ Obdachlose stellen ihr Theaterprojekt vor/ Vorbild ist die schottische Inszenierung »GLAD«/ Projekt kann nur durch Spenden überleben/ »Das Stück ist die Antwort auf die Frage nach unseren Gefühlen«

Berlin. Um die Theatergruppe »Berliner Obdachlosen GmbH & Co KG« ins Leben zu rufen, mußte der Sozialstadtrat von Mitte, Rainer Röppke (Bündnis 90), kräftig Klinken putzen gehen. Nach der Aufführung des Stückes GLAD, gespielt von der schottischen Obdachlosentheatergruppe »Grassmarket-Projekt« Anfang dieses Jahres in der Berliner Volksbühne, war die Idee für ein solches Berliner Obdachlosenprojekt schnell geboren — nur fehlten die finanziellen Mittel. Doch Röppke schaffte es, private Spender zu finden — um der Arbeit erst mal eine Grundlage zu verschaffen.

Seit Anfang Januar dieses Jahres treffen sich so jeden Nachmittag rund 20 Obdachlose im Alter von 20 bis 60 Jahren im »Haus der jungen Talente«, um unter der Regie des jugoslawischen Theaterregisseurs Bernhard Wind ein Theaterstück über ihr Leben auf der Straße zu proben. Wind hat Erfahrung in der Zusammenarbeit mit sozial Benachteiligten, er hat bereits in Jugoslawien mit Sinti und Roma an einem Schauspiel gearbeitet.

Diesem Mann, da sind sich die Obdachlosen einig, »verdanken wir sehr viel — weil er sich mit uns eingelassen hat!« Und: »Wir wollen hier nicht spielen, sondern unser Leben darstellen — spielen kann man im Sandkasten!« erklärt Günther, seit mehreren Monaten »auf Platte«, der gestern erstmals offiziell geladenen Presse. »Das Stück«, fügt sein Kollege Klaus hinzu, »ist die Antwort auf die Frage nach unseren Gefühlen.«

Bevor die Obdachlosen der Öffentlichkeit eine Kostprobe ihres Stücks — und ihres Lebens — gaben, waren die meisten »ganz schön aufgeregt«. Für Ingo kein Wunder: »Wann ist man als Obdachloser schon mal so gefragt? Sonst sind wir es ja, die die Leute ansprechen: Haste mal 'ne Mark?«

Alkohol ist während der Probe nicht erlaubt, organisatorische Dinge sollen gemeinsam besprochen und entschieden werden. Unterstützt werden die Obdachlosen von fünf professionellen Schauspielern, fünf Betreuern und vier künstlerischen Mitarbeitern. Premiere soll im Mai/ Juni sein. Das »Obdachlosenmenü«, das am Ende jeder Probe genossen werden kann, ist für die meisten besonders wichtig.

Nicht nur, weil es dann Stullen und Kaffee gibt, »wir können uns voneinander erzählen, uns austauschen«. Genau das ist für Sozialstadtrat Röppke auch der Sinn des Projektes: »Es ist unerträglich, wie Obdachlose immer verwaltet werden — man kann nicht nur Betten bereitstellen, sondern muß ihnen die Gelegenheit geben, etwas zu tun, was sie wirklich wollen.« Doch allein das Essen, die Zigaretten und die Honorare verschlingen pro Monat 8.500 Mark. Röppke hofft jedoch, daß der Senat künftig im Rahmen der sozialen Künstlerförderung 5.000 Mark im Monat zur Verfügung stellt. Dennoch ist und bleibt das Projekt auf Spenden angewiesen: Gebraucht werden Lebensmittel, Kleidung, Kaffee — und ab und zu eine Unterkunft für die Nacht. maz

Entgegengenommen werden Spenden Montag bis Freitag von 14 bis 17 Uhr im Ostberliner »Haus der jungen Talente«, Klosterstr. 68-70, Raum 224. Dort ist in den nächsten Tagen auch die Kontonummer für Geldspenden zu erfahren.

Siehe auch Seite 32

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