: Hoher Preis
■ Slowenien macht mit der Unabhängigkeit ernst
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: auch mit der vom Parlament in Ljubljana diskutierten Entschließung ist Slowenien noch kein unabhängiger Staat. Aber anders als die baltischen Republiken in der Sowjetunion hat die jugoslawische Teilrepublik jetzt die besten Aussichten, das selbstgesteckte Ziel noch in diesem Jahr zu erreichen. Noch vor einem Jahr hätte eine offene Debatte im slowenischen Parlament über den Austritt aus Jugoslawien zu harten Gegenreaktionen der Bundesregierung, Serbiens und der Armee geführt. Damals war es für die slowenische Führung noch ein Wagnis, das aus heutiger Sicht wie ein Kompromißvorschlag wirkende Konföderationsmodell in die öffentliche Debatte Jugoslawiens zu werfen. Nach diesem Modell sollten die sechs Republiken einen weitreichenden Spielraum für eine eigenständige Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftspolitik erhalten, die Kompetenzen der Bundesregierung dagegen im Wesentlichen auf die Verteidigungs- und Außenpolitik reduziert werden. In diesem Konzept kam dem Bund auch die wichtige Aufgabe zu, sowohl die Demokratisierung in den Republiken wie auch den Schutz der Minderheiten zu garantieren. Wenn heute dieses immer noch vernünftige Konzept bei den Auseinandersetzungen keine Rolle mehr spielt und die staatliche Unabhängigkeit der nördlichsten Republik von den zentralistischen Käften nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt wird, dann bedeutet dies, daß sich die Interessenkonstellationen in Jugoslawien erheblich verändert haben.
Nicht zuletzt hat die serbische Führung, die vor Monaten selbst das Konföderationsmodell noch scharf bekämpfte, überraschenderweise den Slowenen die Möglichkeit zum Ausstieg eröffnet. Dem lag ursprünglich das schlichte Kalkül zugrunde, ein unabhängiges Slowenien würde das Gewicht Serbiens im Rest-Jugoslawien stärken. Da Slowenien zudem als einzige Republik im Vielvölkerstaat über eine relativ homogene Bevölkerung verfügt und die Grenzen des Staates weder von Kroatien noch von Serbien in Frage gestellt werden, könnte die Entlassung aus dem Staatsverband relativ unproblematisch „abzuwickeln“ sein. Zwar werden der Entschließung des slowenischen Parlaments zufolge die Lasten Sloweniens als der Rechtsnachfolgerin des jugoslawischen Staates aus der gemeinsamen Vergangenheit als verhandlungsfähig bezeichnet. Doch wird der Streit, welchen Teil zum gemeinsamen Schuldendienst jede Republik beizutragen hat und welcher Teil vom gemeinsamen Vermögen ihnen zusteht, die Gemüter in Zukunft noch erregen.
Doch dies ist die geringste Konsequenz aus der Entscheidung des slowenischen Parlaments. Vor allem die von den Slowenen enttäuschten Kroaten sehen sich nun der serbischen Dominanz gegenüber alleingelassen. Auch Kroatien wird nun eine ähnliche Entscheidung wie Slowenien treffen, nur mit dem Unterschied, daß wegen der Existenz einer großen serbischen Minderheit in der Republik ein friedlicher Kompromiß mit Serbien gefunden werden muß. Das ist angesichts der bewaffneten Zusammenstöße der letzten Monate kompliziert geworden, zumal auf beiden Seiten die Bereitschaft zu diesem Kompromiß denkbar gering geworden ist. Der serbisch-kroatische Konflikt bewegt sich weiter am Rande eines Krieges. Und die Albaner in Kosovo, die seit einem Jahr von der serbischen Regierung völlig rechtlos gemacht sind, können bei dieser Entwicklung alle Hoffnungen auf ein Konföderationsmodell begraben, das ihre Menschenrechte hätte schützen können. So ist es kein Wunder, wenn sich jetzt die Albaner in Kosovo und Mazedonien zunehmend an Tirana orientieren und sogar einen Zusammenschluß anstreben. Auch der albano-serbische Konflikt bewegt sich am Rande des Krieges.
Angesichts dieses politischen Scherbenhaufens ist die Entscheidung des slowenischen Parlaments in Slowenien selbst nicht so unumstritten, wie es die Geschlossenheit der Parlamentarier und der Parteien suggeriert. Der Vorwurf, aus dem Bauch heraus, also emotional für den Nationalstaat entschieden zu haben, wird in Zukunft das innenpolitische Klima belasten müssen. Es fehlte der breite rationale gesellschaftliche Diskurs. Deshalb weiß auch niemand, ob sich die Unabhängigkeit politisch oder wirtschaftlich wirklich rechnet. Angesichts der bleibenden Konflikte im Restjugoslawien könnte sich der Preis für die Unabhängigkeit auch für Slowenien als zu hoch erweisen. Erich Rathfelder
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