: Die größte Demo seit November 89
■ In Mecklenburg-Vorpommern protestierten Zehntausende von WerftarbeiterInnen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze/ Allein in Rostock kamen 35.000 zusammen/ „Wenn sie dichtmachen, ist alles tot“
Rostock (taz/afp) — Eine so große Demonstration hat Rostock seit dem November 89 nicht mehr gesehen. Etwa 35.000 Menschen zogen am Mittwoch vor das rosa Rathaus der Hansestadt. In Rostock wie in den anderen Schiffbau-Standorten Mecklenburg-Vorpommerns ist die Hälfte der noch verbliebenen 47.000 Werftarbeitsplätze akut bedroht. Weitere 60.000 Beschäftigte in der Zulieferindustrie sind ebenfalls von der düsteren Zukunft des Ostsee-Schiffbaus abhängig. Naheliegende Schlußfolgerung, die während der Kundgebung immer wieder zu hören war: „Wenn die Werften dichtmachen, ist alles tot.“ Deswegen hatten neben der Industriegewerkschaft Metall (IGM) auch weitere Gewerkschaften zur Teilnahme an Demonstrationen aufgerufen.
In Stralsund versammelten sich 3.000 Beschäftigte der Volkswerft und der Wolgaster Peene-Werft. Durch eine Kundgebung vor dem Werkstor der Volkswerft sei eine knappe Stunde lang die Straße zum Rügendamm versperrt worden, gab die dortige IGM bekannt. In Wismar versammelten sich 4.000 Betroffene; in Boitzenburg an der Elbe hatten am Morgen 2.000 Menschen mit den Protestaktionen begonnen und die Bundesstraße 5 von Hamburg nach Berlin blockiert.
Was auf die Menschen an der Küste tatsächlich zukommen wird, ist noch nicht einmal in Umrissen absehbar. Inzwischen sind die elf ehemaligen Schiffbaukombinate in Mecklenburg-Vorpommern zwar unter dem neuen Dach der „Deutschen Maschinen- und Schiffbau AG“ (DMS) zusammengefaßt. Doch für diese DMS gibt es noch kein Konzept. Neben der teilweise veralteten Technologie haben die Betriebe mit Altlasten ganz besonderer Art zu kämpfen: Noch kurz vor der Währungsunion wurden von bundesdeutchen Reedern 20 Schiffe bei der Warnowwerft geordert, doch der mit ihnen vereinbarte Preis deckt nicht einmal die Materialkosten.
Der Hamburger Bezirksvorsitzende der IGM, Frank Teichmüller, zugleich Aufsichtsratsmitglied bei der DSM, kritisierte in Rostock, daß der mecklenburgische Wirtschaftsminister Conrad Michael Lehmant die Gewerkschaftsvorschläge für ein Werftenkonzept nicht einmal zur Kenntnis genommen habe. Teichmüller zu den Rostocker KollegInnen: „Um das Armenhaus Deutschlands zu werden, hätten wir diese Revolution nicht erleben zu brauchen.“
Wie Teichmüller sah auch der Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann soziale Unruhen voraus, wenn die Bundesregierung nicht helfe. Denn nicht nur der Schiffbau, sondern auch alle anderen Bereiche der Wirtschaft und der Verwaltung drohten zusammenzubrechen. Kilimann: „Es droht die tiefstgehende Krise, die die Bundesrepublik je erlebt hat.“
Angesichts der bedrohlichen Situation hat derweil CDU-Ministerpräsident Alfred Gomolka die Gründung einer Struktur-Förderungs- und Änderungsgesellschaft gefordert, an der nach seinen Vorstellungen neben Mecklenburg-Vorpommern noch die vier alten norddeutschen Küstenländer, die Bundesanstalt für Arbeit sowie führende Unternehmen der fünf Länder beteiligt werden sollen. Die fünf Küsten-Ministerpräsidenten wollen Anfang März auf einer „Sonderkonferenz Nord“ darüber beraten. Gomolka wies die Kritik der Wirtschaft an der Landesregierung wegen fehlender Konzepte als „lächerlich“ zurück. Eine fundierte Studie zu den Handlungsmöglichkeiten liege gerade erst seit drei Wochen vor. hbk
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