: Die „Spielhallenflut“ ist ein Behördencoup
Untersuchung über nordrhein-westfälische Spielhallen förderte Erstaunliches zutage: Den Spielhallenboom der 80er Jahre erzeugten Ordnungsbehörden mit und kassierten dabei ab/ Spielbetriebe entsprechen nicht gesetzlichen Vorschriften: Viel zu viele Groschengräber in viel zu kleinen Räumen ■ Von Bettina Markmeyer
„Die Automatenindustrie profitiert davon, daß die meisten Spieler am Ende ihrer Spielerkarriere nicht mehr fähig sind, Widerstand zu leisten. Sie ziehen sich in die Anonymität und Geborgenheit der Selbsthilfegruppen zurück, die vielen als die einzige Hilfsmöglichkeit erscheinen. Viele leben in der ständigen Angst, rückfällig zu werden, und führen ein Leben unter Gängelung Dritter, die bei der Verwaltung der verbliebenen Gelder behilflich sind und dem Spieler jeden Tag erneut vor Augen führen, daß er seinem Spieltrieb hilflos ausgeliefert ist.“ Thomas Lischka, der diese Sätze an das Ende seiner Untersuchung über Spielautomaten, Staat und Gesetz stellte, weiß, wovon er schreibt. Siebzehn Jahre lang verbrachte der Kölner selbst kostbare Zeit vor den Daddelautomaten, verspielte mehr Geld, als er je besaß. Finanziell unabhängig wird er nie wieder sein. Vor zwei Jahren befreite er sich in einer Selbsthilfegruppe von der Spielsucht und entschloß sich zum Widerstand.
Nachdem der heute 33jährige sich in Gesetze und Verordnungen, in die Werbeversprechen und sogenannten Selbstbeschränkungserklärungen der Automatenindustrie, in Bundestagsdebatten und Gerichtsurteile vertieft hatte, entdeckte er Erstaunliches: Die vielbeklagte Spielhallenflut haben seiner Meinung nach die Ordnungsbehörden selbst mit erzeugt und über die Vergnügungssteuer kräftig abkassiert. Ein Großteil der von Lischka untersuchten Spielhallen entsprechen nicht einmal den gesetzlichen Vorschriften. Doch das kümmerte die Behörden wenig. „Das ist einer der größten Behördenskandale der Nachkriegszeit“, findet Lischka.
Selbstbeschränkungen der Branche sind Makulatur
So tönen denn in den Ohren eines Exspielers die Klagen hohl, die in unzähligen Gemeinde- und Stadtratssitzungen, in Länderparlamenten und zuletzt anläßlich der Baugesetzbuchänderung „zur Eindämmung der Spielhallenflut“ im April 1989 im Bundestag geführt wurden. Während die Stadträte jammerten, genehmigten ihre Verwaltungen eine Spielhalle nach der anderen und kassierten mit fürs Staatssäckl. Die Automatenindustrie machte ebenfalls Kasse, im von der SPD regierten Nordrhein-Westfalen mehr als in jedem anderen Bundesland. Bundesweit setzen Automatenhersteller, Großhändler und Aufsteller inzwischen 4,5 Milliarden D-Mark im Jahr um. Mindestens eine halbe Million Menschen, fast ausschließlich Männer, sind nach Angaben der Hauptstelle für Suchtgefahren in Hamm abhängig vom Gewinnspiel an den Automaten, darunter etwa 185.000 Jugendliche.
Thomas Lischka treibt sich inzwischen wieder in Spielhallen herum, jetzt jedoch, um als Vorsitzender der „Aktion Glücksspiel“ Automaten zu zählen, ihre Anordnung zu skizzieren und Grundrisse abzuschätzen. Seine These von der behördlichen Begünstigung der Spielhallen kann der Kölner Verein heute mit Zahlen belegen. Zwischen August und Oktober des letzten Jahres haben Lischka und seine Mitstreiter eine ganze Reihe nordrhein-westfälischer Spielhallen besucht. Das Ergebnis: 95 Prozent der Glücksschuppen entsprechen nicht den gesetzlichen Bestimmungen. In Zahlen: Von sechzig Spielbetrieben waren nur drei in Ordnung. In vierzig Prozent der Betriebe hängen mehr Automaten als gesetzlich erlaubt, und sie hängen auch viel zu dicht beieinander. Gerade süchtige Spieler können so bis zu zehn Groschengräber gleichzeitig füttern — und entsprechend viel Geld verlieren. Und dies, obwohl die Branche per „Selbstbeschränkung“ dafür gesorgt haben will, daß ein Spieler nicht mehr als zwei Automaten gleichzeitig in Gang halten kann.
In der Gewerbeordnung steht über Spielhallen: „Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn... der Betrieb des Gewerbes eine übermäßige Ausnutzung des Spieltriebs... befürchten läßt.“ In der zugehörigen Spielverordnung ist seit 1985 festgelegt, daß „je 15 Quadratmeter Grundfläche höchstens ein Geld- oder Warenspielgerät aufgestellt werden“ darf und daß höchstens zehn Geräte in einer Halle hängen dürfen. Für eine Spielhalle wiederum legt das nordrhein-westfälische Wirtschaftministerium in der entsprechenden Ausführungsbestimmung vom 30.5. 1986 fest, sie müsse „baulich und optisch“ deutlich von Nachbarräumen, insbesondere aber von benachbarten Spielhallen zu unterscheiden sein und jeweils einen eigenen Eingang haben.
Genau das ist aber in Wirklichkeit so gut wie nie der Fall. Jeweils drei Automaten durften in den vor 1985 in NRW genehmigten Spielhallen hängen, auch für diese Hallen „alten Rechts“ galt und gilt, daß es jeweils abgeschlossene Räume mit eigenen Zugängen sein müssen. Diese Vorschrift jedoch, die Städten und Gemeinden zwischen Rhein und Weser schon seit 1979 die Handhabe geboten hätte, Spielhallen-Wucherungen zu unterbinden, ist regelmäßig umgangen worden. Die Megahallen erhielten sogar entsprechende Baugenehmigungen, so daß die Komplexe bis heute Bestandsschutz haben.
Erbittert analysiert Thomas Lischka, wie die gesetzwidrige Genehmigungspraxis kommunaler Behörden der Automatenindustrie half und hilft, die Spielleidenschaft legal auszubeuten. Während seiner „heißen Spielphasen“ sei es für ihn kein Problem gewesen sechs oder auch acht Automaten gleichzeitig laufen zu lassen. Verlieren konnte er bei diesem „hallenübergreifenden“ Spiel, das von Rechts wegen gar nicht hätte möglich sein dürfen, stündlich 500 DM und mehr. „Unbegreiflich“ ist dem Exspieler aber vor allem, daß auch, nachdem heute in vielen Verwaltungen zugegeben wird, daß die Spielhallengenehmigungen „überaus großzügig“ bis „rechtswidrig“ erteilt worden sind, Verstöße weiter geduldet werden.
Nach ihrem Besuch in 60 Spielhallen schrieb die „Aktion Glücksspiel“ 57 Anzeigen und schickte sie an die jeweiligen Stadtverwaltungen mit der Bitte, die Mißstände zu beheben und bot den Städten weitere Mitarbeit an. Die Reaktionen seien „überwiegend enttäuschend“. Zwar hätten, so Lischka, die meisten Verwaltungen die Verstöße bestätigt, doch die wenigsten seien auch gegen sie vorgegangen. Der Kölner Oberstadtdirektor lehnte die „beratende Hilfe“ von Lischkas Verein ab, da „die Überprüfung von Spielhallen eine ordnungsbehördliche“ und damit „hoheitliche“ Aufgabe“ sei, „deren Wahrnehmung ausschließlich den zuständigen Behörden beziehungsweise deren Bediensteten obliegt“. Doch die sind mit der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgabe offensichtlich überfordert. Unverändert rotieren in einer Kölner Spielhalle 54 Geldspielautomaten, wo nach der für diesen Betrieb gültigen Spielverordnung nur zehn hängen dürften.
Die „Aktion Glücksspiel“ ließ sich von der Untätigkeit in der Domstadt nicht lahmlegen, sondern zeigte Dutzende gesetzwidriger Spielhallen beim übergeordneten Kölner Regierungspräsidenten (RP) an — und stieß auf eine Behörde, die tatsächlich aktiv wurde.
Drei Wochen gab sie Gemeinden, Städten und Kreisen Zeit, das Chaos in den Spielhallen zu beseitigen. In einigen kleineren Hallen ließ auch die Stadt Köln daraufhin Automaten abbauen, doch an die Großen der Branche, wie die zur Gauselmann- Gruppe gehörende Spielothek in der Breiten Straße, traut man sich offenbar nicht heran. Ihre Bezirksämter, hielt die Kölner Verwaltung den drängelnden Regierungspräsidenten mit der fadenscheinigen Begründung hin, müßten zunächst mit den Betreibern und dem Automatenverband verhandeln.
Bis zu 270 D-Mark Vergnügungssteuer pro Geldspielautomat und Monat dürfen nordrhein-westfälische Kommunen kassieren, ein Grund für die überaus zaghafte Kontrolle der Spielhallen. Einen weiteren nennt Josef Limbach, im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium zuständig für Gewerberecht: „Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist schwierig.“ Denn genehmigte Spielhallen seien „rechtmäßige“ Spielhallen, und wolle man sie heute zurechtstutzen, müsse man mit Schadensersatzforderungen rechnen.
Das Spielhallenproblem ist für Limbachs Behörde ohnehin eins, das sich bald von selbst erledigen werde. Ab 1996 darf es nur noch Spielhallen mit höchstens zehn Geldspielautomaten geben.
Hundert Punkte für die Gesetzeslücke
Doch die Automatenhersteller sorgen schon vor. Der neueste Schrei unter den Daddelautomaten ist das Punktespielgerät, das eine kürzere Spieldauer hat und damit mehr Geld schlucken kann als herkömmliche Automaten. Der einziger Unterschied: Hier gibt es kein Geld, sondern nur Punkte zu gewinnen. „Für süchtige Spieler“, urteilt die „Aktion Glücksspiel“. „Eine neue Falle, denn sie spielen, um zu spielen. Möglicher Geldgewinn hat für Extremspieler nur untergeordnete Bedeutung.“
Mit einem besonderen Knüller versucht der Hersteller den Spielhallenbetreibern das neue Spielgerät schmackhaft zu machen. Auf eine Gesetzeslücke verweisend, heiß es im Werbeprospekt klipp und klar: „Besonderer Vorteil: Anders als bei Geldspielgeräten ist das Spiel nicht durch gesetzliche Regelungen eingezwängt.“
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