Tierkot, der nach Gräsern und Mosen duftet

■ Niedersachsen kämpft mit der Gülle / Umweltschützer fordern „Gülle-Polizei“

Statistisch gesehen hat jeder der 7,3 Millionen Niedersachsen sein Hausschwein. Jede zweite Bürgerin zwischen Ems und Elbe hätte dazu noch eine Kuh im Garten. Hinter den Zahlen verbirgt sich jedoch recht wenig ländliches Idyll. Schweine, Rinder und Hühner stehen dicht gedrängt in landwirtschaftlichen Großbetrieben. Nirgends ist die Viehdichte so hoch wie im Süd-Oldenburgischen bei Cloppenburg und Vechta, wo die Abfälle aus der Massentierhaltung seit Jahren ätzende und stinkende Probleme aufwerfen.

Hauptverursacher der Umweltbelastung ist die Gülle. Über Betonrinnen fließt sie direkt in riesige Tanks und wird dann auf Äcker und Wiesen versprüht. Die industrielle Landwirtschaft richtet so mit einem „Dünge-Rohstoff“ Schaden an, wo einst Nutzen die Regel war. Denn ohne Kompostierung von Stroh und Mist sind die Agrarabfälle Umweltschädlinge: Sie belasten das Grundwasser mit Nitraten, Bäche und Flüsse mit Phosphaten.

Der Dümmer, einer der größten Binnenseen Norddeutschlands, steht deshalb kurz vor dem Kollaps. Das Gewässer, das ohnehin auf natürliche Weise verlandet, droht zum Opfer der Überdüngung umliegender Wiesen zu werden. Ein Gutachten der Technischen Universität Hannover prophezeite dem See bereits vor fünf Jahren den sicheren Tod, wenn sich nichts ändere.

Veränderungen wollen die Umweltschützer vom Dümmerausschuß seit Jahren. Ihr Vorsitzender, Bernd Averbeck, fordert ein Biosphären-Reservat von 20.000 Hektar rund um den sterbenden See. Da es „absolut üblich ist, daß Flächen doppelt und dreifach besprüht werden“, muß seiner Ansicht nach eine verschärfte Kontrolle her: Eine Art „Gülle- Polizei“. Die eigentliche Herausforerung aber ist die vollständige Umorientierung der Viehwirtschaft — weg von der Massenproduktion.

Die alte Landesregierung versuchte, den Knoten zu durchschlagen, indem sie den Bornbach umleiten wollte. Dieser transportiert über die Hälfte der Schadstoffe in den gefährdeten See. Was dem Dümmer helfen würde, hätte die Nordsee belastet. Über die Hunte wären ihr die Schadstoffe zugeführt worden. Mit einem Federstrich beendete die rot- grüne Koalition deshalb das umstrittene Projekt — um es wenig später wieder aus der Schublade zu holen.

Zusätzlich sollen jetzt aber die Ursachen angepackt werden. Landwirtschaftsminister Karl- Heinz Funke (SPD) hat eine schärfere Gülle-Verordnung angekündigt, die die Austragsmenge reduzieren soll. Die Ankündigung, im Norden werde es künftig nicht mehr nach Gülle stinken, ist so nur langfristig zu verwirklichen. Schnelle Abhilfe für durch Ammoniak gepeinigte Nasen verspricht eine Firma aus dem Kreis Vechta: Nach der Behandlung in ihrer „Gülle-Separierungsanlage“ soll der Tierkot nach Gräsern und Moosen duften. Matthias Tornoff (dpa)