DIE SEINEN ERFREUEN...

■ Ein Artikel aus dem Berliner Sonntagblatt von 1914 sinniert über den Gruß aus der Ferne auf Ansichtskarten

Ein Artikel aus

dem Berliner Sonntagsblatt von 1914 sinniert über den Gruß aus der Ferne auf Ansichtskarten

Wenn viele Menschen ihre Berufsbürde für eine Zeitlang ablegen dürfen und sich eine Erholungsreise gönnen, gibt es manche Stände, deren Arbeitslast gerade dadurch vergrößert wird, zum Beispiel die der wackeren Postboten. Es schwirren ja aus fernen, schönen Gegenden die Ansichtskarten in die Heimat, bunt wie Schmetterlinge, zahlreich wie Heuschrecken. Und die Briefträger tragen sie willig und treulich in die Häuser; sie wissen ja: es tut wohl im Dunste der Großstadt und im Staube der Kleinstadt, ein Stückchen Natur, wenn auch nur im Bilde, zu schauen. Wenn nur die Absender sorgsamer bei der Wahl wären! Verwandte und nahe Freunde sehen ja gern das Gasthaus, in dem ihre Lieben untergebracht sind; etwas ferner Stehende aber denken wohl lächelnd: „Aha, eine Hotelkarte, die man umsonst bekommt!“ Oder es wird eine Karte geschickt, die keinerlei Beziehung zum Aufenthaltsorte hat, vielleicht eine törichte Witzkarte, aber der Kellner bot sie gerade an. Wer die Seinen erfreuen will, der gebe sich in der glücklichen Zeit des „Nichtstuns mit gutem Gewissen“ doch das bißchen Mühe, etwas Hübsches, Bezeichnendes auszuwählen. Jeder weiß, wie schöne und billige Karten es gibt von Denkmälern und Gebäuden oder Naturschönheiten, die man auf der Reise sieht. Ein liebendes Gemüt denkt auch daran, daß der alte Onkel einst in Bonn studiert hat, daß Tante Lieschen eine Thüringerin ist und Großmutter auf der Hochzeitsreise in Dresden war, und so fort. An wen soll man Ansichtskarten schreiben? Nun, einfach an solche, denen sie Freude machen, und dabei vergesse man nicht die schlichten Gestalten im Bekanntenkreise und grüße auch die Dienstmädchen mit einer hübschen Karte. Eine Putzfrau sagte ganz gerührt: „Das ist die erste Herrschaft, die mir von der Reise eine bunte Karte geschrieben hat!“

Und was soll auf den Karten stehen? Ja, das kann zur Qual werden, besonders, wenn man meint, es müsse durchaus ein Vers sein. Ein paar warme Worte, vom Herzen diktiert, sind weit schöner als ein gequälter Reim. Die Karte wandert zum Briefkasten; aufgepaßt: ist sie auch adressiert, frankiert, genügend frankiert? Es soll doch bei dem Empfänger ungemischte Feude geweckt werden. Man zahlt nicht gerne Strafe für die wichtige Mitteilung „Heute sind wir hier!“ oder „Gruß; Peter.“ Von Gasthöfen aus, besonders italienischen, empfiehlt es sich, die Karten persönlich einzustecken. — Man möchte gern Antwort von daheim haben, aber wohin? Ja, die Adresse hat man unleserlich oder gar nicht angegeben. — Die Tage vergehen, die Karten mehren sich. Es muß unter den Grüßen aus früheren Jahren Sichtung gehalten werden; wohin nun mit den alten, die doch zum Wegwerfen zu schade sind? Großtante weiß wie immer Rat. Je zwei und zwei Karten werden gut aufeinander geklebt, und aus diesen steifen Wänden eckige Körbchen, Kästchen mit Deckel, kleine Wandschirme für Puppen gefertigt. Eine geschickte Nadel mit buntem Faden näht alles nach Bedarf aneinander. Und dann wandern die Gegenstände ins Krankenhaus zu den Kindern, die sie mit hellem Jubel begrüßen. Sogar die kleinen Ansteckenden können sie haben, denn später wird das an sich wertlose Spielzeug einfach verbrannt. So endet die Laufbahn einer Ansichtskarte, die von Anfang bis Ende andere erfreut hat, und was könnte sie Schöneres erreichen?