: Mit dem Notstandsplan bis zum Parteikongreß
Im März will die kubanische KP neue mittelfristige Maßnahmen zur Verringerung der Wirtschaftsmisere beschließen/ Mit einer Flut von Maßnahmen soll bereits jetzt die Importabhängigkeit gesenkt werden/ Mit den Zucker-Erlösen läßt sich nicht einmal die Hälfte des Rohöls bezahlen ■ Von Kosta Mathéy
Schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Havanna fällt auf, daß in diesem Winter wesentlich weniger Autos auf den Straßen sind als vor einem Jahr. Das Benzin ist rationiert, überall muß gespart werden. Die UdSSR, die bisher Kuba direkt und indirekt durch Ankauf von jährlich 4 Millionen Tonnen Zucker über dem auf dem Weltmarkt üblichen Preisniveau und Verkauf von Rohöl zu extrem niedrigen Preisen unterstützt hat, ist zu dieser „Solidaritätsleistung“ nicht mehr in der Lage, selbst wenn der Wille dazu bestünde. Inzwischen steht fest: Die UdSSR nimmt weniger Zucker ab, wenn auch immer noch über dem Weltmarktpreis; dafür bekommt der Inselstaat weniger Öl.
Wenn Kuba jedoch im Außenhandel mit der übrigen Dritten Welt in Konkurrenz treten muß, droht eine ähnliche Armut wie in anderen Ländern Lateinamerikas. Zwar erreicht die Auslandsverschuldung nicht das Ausmaß wie in anderen Staaten der Dritten Welt, doch von dem jährlichen Treibstoffverbrauch in Höhe von bisher 13 Millionen Tonnen kann Kuba nur weniger als eine Million aus eigener Produktion decken. Mit dem Verkaufserlös der gesamten Zuckerproduktion des Landes ließen sich noch nicht einmal weitere 4 Millionen Tonnen einkaufen. Und auch ein Großteil der Lebensmittel wird aus dem Ausland eingeführt und muß in Devisen bezahlt werden.
Der Ölverbrauch wird bereits gedrosselt
Das Land soll mit einem Notprogramm — der Bevölkerung als Periodo Especial („Spezielle Periode“) vorgestellt — vor dem wirtschaftlichen Ruin gerettet werden; und es besteht kein Zweifel daran, daß das politische Überleben weitgehend von dem Ergebnis dieser Bemühung abhängt. Neben dem weiteren Ausbau devisenbringender Wirtschaftszweige wie Tourismus und Biotechnologie vertraut die neue Strategie in erster Linie auf die Möglichkeit der Energieeinsparung beziehungsweise Substitution und der Lebensmittel-Selbstversorgung.
Bereits 1989 gelang es, den Ölverbrauch um 25 Prozent zu drosseln, doch das ist nicht genug; für 1991 werden 50 Prozent Einsparung gefordert. Wie Fidel Castro erklärte, muß sich das Land mit der Kriegsökonomie im Extremfall sogar auf die „Nullenergie“-Option vorbereiten. Daß es mit den Einsparungen ernstgemeint ist, zeigt das Ausmaß der bereits eingeleiteten Vorhaben. Individuelle Beratung soll Haushalten wie Betrieben helfen, ihren Stromverbrauch zu reduzieren — die bereits erzielte Einsparung liegt immerhin bei fast 10 Prozent. Die Klimaanlagen sollen — wer hat in den erbarmungslos heruntergekühlten Kinos und Empfangssälen noch nicht bitterlich gefroren? — endlich gedrosselt werden. Die besonders Energie-intensive Zementproduktion wurde halbiert, selbst wenn der politische Preis eine unpopuläre Reduzierung des Neuwohnungsbau ist. In Havanna werden gar ersten Versuche mit Lehmbau begonnen.
Auf dem Lande wurde, mit Hilfe von „Brot für die Welt“, die erste Biogasanlage fertiggestellt, und soll täglich 50 Tonnen Rindermist in nutzbare Energie umwandeln. In den Kleinstädten, wo in der Vergangenheit die Pferdefuhrwerke im Namen des Fortschritts verbannt worden waren, werden diese nicht nur wieder zugelassen, sondern gezielt für Transporte über kurze Strecken wie für die Müllabfuhr oder auch Hotelwäschereien eingesetzt. Nach Feierabend können die KutscherInnen zusätzlich auf eigene Rechnung Privataufträge annehmen.
Die spektakulärste Maßnahme besteht jedoch in der teilweisen Substitution des Kraftfahrzeugverkehrs durch Fahrräder — ein in Kuba bislang so gut wie unbekanntes Fortbewegungsmittel. 200.000 Fahrräder wurden bereits aus China importiert, weitere 300.000 sollen folgen. Um die Montagekosten einzusparen, werden die Einzelteile von den StudentInnen der technischen Hochschulen in Abend- und Wochenendschichten zusammengebaut. Für den weiteren Bedarf werden fünf eigene Fahrradfabriken gebaut.
Das chronisch dürftige Angebot an Obst und Gemüse, das in krassem Gegensatz zu den klimatischen Möglichkeiten steht, fällt allen Kuba-BesucherInnen auf. Jetzt sind auch andere Lebensmittel knapper geworden, was sich in einer bescheideneren Auswahl niederschlägt. Die langen Schlagen vor den Brotgeschäften zeugen von den reduzierten Getreideimporten, die bislang hauptsächlich aus der UdSSR stammten. Aber noch haben, selten genug in Lateinamerika, alle genug zu essen.
Das empfohlene Heilmittel heißt Selbstversorgung, möglichst dezentral auf mehreren Ebenen. Havanna und seine Provinz soll seine Lebensmittel fast vollständig in dem bereits existierenden, aber landwirtschaftlich nur wenig genutztem Grüngürtel produzieren.
Neue Dörfer an Havannas Peripherie
Jeweils 10.000 StadtbewohnerInnen sollen in 14tägigem Turnus in den Staatsfarmen und Kooperativen aushelfen. Darüberhinaus werden mehr als 60 neue Dörfer im Umkreis von 40 Kilometern zur Hauptstadt aus dem Boden gestampft, wozu viele der eigentlich für den städtischen Wohnungsbau eingerichteten Mikrobrigaden — das sind Selbsthilfe- Baubrigaden von Betrieben oder ganzer Nachbarschaften — eingesetzt werden. Höhere Löhne, eine eigene Wohnung und die Garantie, nach zwei Jahren wieder an den alten Arbeitsplatz zurückkehren zu können, sollen die notwendige Anzahl von Freiwilligen aus Havanna zur Übersiedlung in diese Siedlungen und zur Arbeit auf dem Land motivieren.
Selbst zwischen den phantasielos aneinandergereihten Blöcken des Massenwohnungsbaus aus den 70er und frühen 80er Jahren fangen die BewohnerInnen an, verwahrloste Freiflächen in Hausgärten zu verwandeln, manchmal individuell, manchmal als Gruppe. Obwohl solche Aktivitäten von staatlicher Seite auch schon früher angeregt worden waren, beginnen jetzt offensichtlich das schlangestehen und das magere Angebot in den Läden den arbeitsintensiven Eigenanbau als Alternative attraktiv zu machen.
Bessere Selbstversorgung wird auch im medizinischen Bereich angestrebt. Zwar ist Kuba auch Exporteur von Impfstoffen, Medikamenten und ärztlichen Leistungen, muß aber viel pharmazeutisches Material noch importieren. Deshalb wird primär aus ökonomischen Erwägungen heraus Akupunktur und Pflanzenmedizin, die medicina verde, massiv gefördert. Selbst in der Aids-Station von San Antonio schwören viele PatientInnen auf die Heilkräuter, die sie als Alternative zu chemischen Produkten zur Prävention und Unterdrückung von Sekundärinfektionen wählen können, und die sie im Garten der Anstalt für den Eigenverbrauch und zur Vermarktung anpflanzen.
Bürokratie und Scheinbeschäftigung waren Schwachpunkte aller realsozialistischen Wirtschaftsexperimente und Kuba ist keine Ausnahme. Das Wunschbild der Vollbeschäftigung wurde über 20 Jahre lang künstlich in der Realität aufrechtzuerhalten versucht, bis die Welle der nach der Revolution geborenen Jugendlichen, verstärkt noch durch die aus Angola heimkehrenden Soldaten, auf den Arbeitsmarkt drängte, und in den letzten Jahren offene Arbeitslosigkeit akzeptiert werden mußte. Nachdem das Tabu einmal gebrochen war, fällt es leichter, betriebswirtschaftlich überzählige Arbeitskräfte aus dem Produktionsprozeß herauszunehmen und die Sicherheit des Arbeitsplatzes mit Leistung zu koppeln.
Verkauf nach Anfangsbuchstaben des Namens
Bis zu 50 Prozent soll die Belegschaft einzener Betriebe reduziert werden, wobei allerdings alternative Arbeitsplätze bei gleichem oder höheren Lohn, doch auch mit minderer Qualifikation oder in der Landwirtschaft den Betroffenen angeboten werden sollen. Wird kein Ersatz-Arbeitsplatz gefunden, werden 60 Prozent des bisherigen Lohnes weiter gezahlt (in Sozialfällen mehr). Bei Ablehnung des angebotenen Jobs besteht allerdings kein Lohnanspruch.
Eine bessere ökonomische Effizienz wird auch mit anderen Maßnahmen angestrebt: Das zeitraubende Schlangestehen soll zum Beispiel dadurch verkürzt werden, daß an einem Tage jeweils nur Kunden mit bestimmten Anfangsbuchstaben bedient werden, die venta por grupo.
Viele Supermärkte werden jetzt direkt von den Erzeugern mit Obst und Gemüse beliefert, um den Verderb in den Großmärkten und während des Transports auf vielen Umwegen einzudämmen. Kleinbetriebe werden wieder oder neu eingerichtet, um Versorgungslücken zu füllen oder das Angebot der trägen und pannenanfälligen Großindustrie zu ergänzen. So wurden schon hunderte der jetzt wieder benötigten Pferdekarren in kleinen Provinz-Werkstätten hergestellt, und selbst Holzkohle wird aus einem unkrautähnlichen, dünnstammigen Baum wieder von Köhlern gebrannt und offiziell vermarktet.
Alle genannten Innovationen wurden — für Kuba typisch — ad hoc als Notmaßnahmen konzipiert und entgegen den Prinzipien der Planwirtschaft eingeleitet, denn im laufenden Fünfjahresplan waren sie nicht vorgesehen. Es scheint fast, als ob die aktuelle Krise zum Teil auch willkommener Anlaß für die erneute Propagierung und Umsetzung so mancher langgehegter Visionen des maximo lider wurde, wie im Falle der Fahrräder oder Aufforstung der Städte. Die Bevölkerung nimmt's mit Humor und sieht wohl in der großen Mehrheit ein, daß das jüngste Schicksal Nicaraguas, Panamas oder Grenadas keine bessere Alternative darstellt.
Doch auch das wirtschaftliche Vorbild des großen Bruders UdSSR, das Kuba unter anderem mit der heute wertlosen Zucker-Monokultur, der extrem erdölabhängiger Industrie und einer Atomkraftwerk- Baustelle mit Tschernobyl-Modell beglückte, ist zu einem Häufchen Elend zusammengefallen. Alle warten nun gespannt auf den für März angesetzten Parteikongreß, der eine neue mittelfristige Wirtschaftsstrategie beschließen muß.
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