Wippende Hinterteile an der Hantel

■ Gewichtheberjunioren aus Frankfurt/Oder waren im Bundesliga-Vergleich fast doppelt so stark wie die Senioren von Blau-Gelb Berlin am »schwärzesten Tag ihrer Vereinsgeschichte«

Weißensee. Sie ist nicht gerade sehr groß, die Sporthalle in Berlin-Weißensee. Und so ist gleich neben der quadratischen Holzbohle, auf der am Samstag der Gewichtheber-Bundesligakampf zwischen Blau-Gelb Berlin und dem AFC 90 aus Frankfurt/O. entschieden wurde, der Vorbereitungsplatz für die Stoßer und Reißer. Dort halten sich die stattlichen Muskelmänner mit Oberschenkeln, die selbst Radsportler vor Neid grün werden lassen, warm, hieven dutzende Male die Hantel nach oben, lassen sie krachend niedersausen, alles begleitet von lautstarken Kommentaren zu geglückten oder mißlungenen Versuchen.

Als ob das nicht schon Lärm genug wäre, sitzen in der Halle gut dreißig Schlachtenbummler aus Frankfurt/Oder und feuern ihre Mannschaft derart frenetisch an, daß der Oberkampfrichter immer wieder zur Ruhe mahnen muß, wie man es sonst nur vom Tennis-Court kennt. Die Gewichtheber scheint es nicht zu stören. Die meisten von ihnen verfallen in eine Art mentaler Starre, wenn sie ihre Hände magnesiert und an der Hantel fixiert haben. Einige wippen mit dem Hinterteil auf und ab, andere wiederum vollführen mit dem gesamten Oberkörper kreisende Bewegungen, ehe sie die Last nach oben schwingen.

Nicht so Emil Fischer von der Berliner Mannschaft. Er bringt seine jeweils drei Versuche in Windeseile hinter sich, 80 Kilo im Reißen, 120 Kilo im Stoßen. »Ich muß nachher noch zur Goldenen Hochzeit meiner Schwiegereltern«, begründet er unernst die Hast. Denn die gehobenen Kilogramms entsprechen seinem Leistungsvermögen. Im Reißen hätten es vielleicht zehn Kilo mehr sein können. 47 Jahre ist der Meister bei der Berliner Wasserversorgung bereits, treibt seit frühester Kindheit Sport und ist vor nunmehr 32 Jahren beim Gewichtheben hängengeblieben.

In dieser Zeit wurde er mehrfacher Berliner und DDR-Meister. Sein größter Erfolg jedoch war der vierte Platz bei den World Masters der Senioren im vergangenen Jahr in Österreich. Ans Aufhören denkt der Vater von vier Kindern noch lange nicht. »Solange die Gesundheit mitspielt, mache ich weiter. Von mir aus nochmal solange.« Vormachen kann er den Jüngeren nichts mehr, hat er eingesehen, vor allem technisch nicht. Dafür aber in puncto Trainingsfleiß. Dreimal die Woche fließt für zwei Stunden der Schweiß. So hat sich der Mittelgewichtler einen Stammplatz in der Mannschaft erkämpft, ist alles andere als eine Notlösung.

Notlösungen waren für den blau- gelben Verein am Samstag trotzdem nötig. Fielen doch mit Gerd Kempe und Harald Peisath zwei sichere Banken durch Krankheit aus. Vor allem das Fehlen von Gerd Kempe trug nach Meinung des Berliner Trainers Horst Latzel dazu bei, daß die Mannschaft ziemlich unmotiviert in den Wettkampf ging. Und so kam zwangsläufig das , was der Trainer später den »schwärzesten Tag in der Klubgeschichte« nannte. Ganze 442,5 Punkte rissen und stießen die sechs Blau-Gelben, festigten damit ihren letzten Tabellenplatz.

Fast die doppelte Punktzahl (806,1) erreichten die Frankfurter. Sie hatten aufgrund der Berliner Verletzungsmisere ihre Stamm-Mannschaft zu Hause gelassen, dafür die Junioren an die Hantel geschickt. Diese strafen nicht nur jene Lügen, die bei Gewichthebern sofort an den etwas unförmigen Türken Suleymanoglu denken, sondern sie beherrschen dazu noch ihre Sportart. Denn mit den 806 Punkten war nicht nur der Sieg perfekt, sondern sie bedeuten auch einen neuen deutschen Mannschaftsrekord für Junioren. Der alte lag bei 563,2 Punkten.

Daneben gab es auch Junioren- Einzelrekorde. So schaffte Martin Moreno (AFC 90) 352,5 Kilo im Zweikampf. Sein Mannschaftkamerad Mark-Andre Franke riß in der Kategorie bis 82,5 Kilo Körpergewicht 142,5 Kilo Eisengewicht.

Trotz allem. Für den Gesamtsieg in der Bundesliga Ost und damit die Teilnahme an der Endrunde, die am 17. April beim Sieger der Nord-Staffel stattfindet, wird es für die jetzt drittplazierten Frankfurter nicht mehr langen. Auch nicht bei einem wahrscheinlichen Sieg im siebten und letzten Bundesligakampf gegen Meißen am 16. März. Denn der Gegner des Tabellenführers TSC Berlin im letzten gewichtigen Fight ist: Blau-Gelb Berlin. Katrin Scholz