: Scherben
■ Die Grünen müssen außenpolitikfähig werden GASTKOMMENTAR
Das Scheitern ihrer Israel-Delegation mit dem würdelosen Nachspiel der Journalistenschelte stellt den mühsamen Konsolidierungsprozeß der Grünen ernsthaft in Frage. Denn wenn sieben Jahre nach der ersten erneut eine Delegation der Grünen im Fiasko endet, muß man daran zweifeln, ob diese Partei überhaupt Erfahrungen sammeln und diese selbstkritisch auswerten will.
Dabei hatte es einen Lernprozeß gegeben, der sicher auch mitbestimmt war von den Persönlichkeiten, die die Delegationen bildeten. Bei einer offiziellen Grünen-Reise im Sommer letzten Jahres kam es nicht nur zu Gesprächen mit einem breiten Parteienspektrum in der Knesset, sondern auch zu einem gemeinsamen Essen mit Abgeordneten der israelischen Bürgerrechtspartei RATZ und Vertretern der Palästinenser. Die Delegation besuchte auch Flüchtlingslager auf der West-Bank und im Gaza-Streifen, was von den israelischen Gastgebern als Selbstverständlichkeit akzeptiert wurde. Solch vertrauensvoller Umgang miteinander ist allerdings nur möglich, wenn die Gastgeber davon ausgehen können, daß die Gäste die existentiellen Grundbedingungen israelischer Politik verstehen.
Außenpolitik kann eben nicht nur von außen gemacht werden. Sie bedarf der Bürgen im Lande selbst. Politiker und Mitglieder der israelischen Friedensbewegung, die sich in den vergangenen Jahren auf die Grünen eingelassen hatten, haben einen Anspruch auf Solidarität unter Scud-Beschuß. Wenn sie in Israel die schwierige Diskussion über einen sofortigen Waffenstillstand führen, ist es ungeheuerlich, sie mit der akademischen deutschen Debatte über den Charakter von Patriot-Raketen zu konfrontieren. Das Scheitern der Grünen in Israel geht weit über ihre Israel-Politik hinaus und stellt ihre außenpolitische Kompetenz generell in Frage. Gerade in den letzten Jahren hatten sie diese zunehmend unter Beweis gestellt, sei es in Osteuropa, wo die ihnen nahestehenden Bewegungen zur Macht gelangten, oder in der Dritten Welt, wo die von ihnen entwickelten kritischen Positionen zur bestehenden Weltwirtschaftsordnung ihnen Aufmerksamkeit verschafften. Nach Jahren, wo in der Bundesrepublik das Primat der Innenpolitik, der Deutschland- und der EG-Politik galt, stehen wir jetzt vor einer Epoche, in der die Außenpolitik Akzente setzen wird.
Auch deshalb brauchen wir dringend einen Neuanfang grüner Politik auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz am 28. April. Wenn man sich den neuen Dimensionen der Probleme nicht stellen will, muß man aufhören, Politik zu machen. Helmut Lippelt
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