: Widersprüche um Widerstand
■ Rathaus-Besetzung vor Gericht: Polizisten widersprechen sich
Ein abgelehnter Staatsanwalt, ein abgelehnter Richter, Polizisten im Dauerverhör, der Angeklagte im Zuschauerraum: Rechtsanwalt Eberhard Schultz zog gestern vor dem Amtsgericht ein prozessuales Register nach dem anderen, um für seinen Mandanten Vorteile zu erlangen. Sein Mandant ist der 23jährige Jakob N.. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit anderen im April 1989 die obere Rathaushalle besetzt zu haben. Die BesetzerInnen wollten auf die Lage der hungerstreikenden RAF-Gefangenen aufmerksam machen, und so deren Forderung nach Zusammenlegung unterstützen.
Die Anklage wegen Hausfriedensbruchs und Widerstandes war für Jakob N. denn auch „ein Einschüchterungs- und Kriminalisierungsversuch“. Ohne zum Tatvorwurf direkt aussagen zu wollen, meinte er: „In der damals angespannten Situation sollte die Besetzung des Rathauses den Senat zu einer klaren Stellungnahme zur Zusammenlegung zwingen.“ Doch statt dessen gab es vom Hausherrn, dem Chef der Senatskanzlei, Andreas Fuchs, eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. 28 Ermittlungsverfahren wurden durchgeführt, gegen fünf der BesetzerInnen eine Geldstrafe verhängt. Zwei zahlten, und gegen Jacob N., der Widerspruch gegen die Geldstrafe von insgesamt 1.200 Mark einlegte, wurde nun verhandelt.
Nach seiner Stellungnahme durfte sich Jakob N. mit Genehmigung des Gerichts im Zuschauerraum zu den rund 40 UnterstützerInnen setzen. So wollte Rechtsanwalt Schultz verhindern, daß es die Polizisten, die sich derweil als Zeugen auf dem Flur langweilten, bei der Identifikation des Angeklagten zu einfach hätten.
Doch bevor es zu einer Vernehmung kommen konnte, gab es strafprozessuale Auseinandersetzungen. Der Grund: Der erste Polizist, der als Zeuge vernommen werden sollte, wollte als Adresse nur „Bremen“ angeben. Der Antrag von Schultz, der Zeuge möge die ganze Anschrift nennen, wurde von Amtsrichter Klaus Richter abgelehnt, damit der Zeuge oder seine Familie später nicht durch die im Zuschauerraum Anwesenden bedroht oder belästigt werde. Als Schultz, ob der Begründung hellhörig geworden, einen Befangenheitsantrag ankündigte, versuchte Staatsanwalt Georg von Bock und Polach dem Richter aus der selbstgelegten Falle zu helfen. Dem Polizisten sei in der Verhandlungspause gesagt worden, er habe allen Anlaß zu einer solchen Befürchtung. Als Richter die von-Bock-Nachhilfe dann auch noch zur Begründung seiner Ablehnung ins Protokoll aufnahm, war der Befangenheitsantrag fällig.
Bis darüber entschieden ist, wurde das Verfahren mit der Vernehmung zweier Polizisten fortgesetzt, die beim Einsatz die Treppe zur oberen Rathaushalle erstürmt und von denen einer den Angeklagten festgenommen hatte. Dieser Zeuge wußte zu berichten, daß er erst tätig geworden sei, nachdem der Angeklagte nach ihm getreten habe. Der andere Polizist allerdings berichtete, daß sein Kollege den Angeklagten verfolgt und ihn dann während einer Rangelei zu Boden gerissen hatte. Und auch bei der Frage, ob sich die Beamten überhaupt ausreichend als Polizisten kenntlich gemacht hätten, kam es zu Widersprüchen.
Für Staatsanwalt von Bock brachte die sechsstündige Verhandlung nur ein Erfolgserlebnis: Einer der geladenen Polizisten identifizierte nach kurzer Überlegung den Angeklagten auch im Zuschauerraum. hbk
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