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Kann »Ipso« das Auto ablösen?

■ Uni Marburg präsentiert im Stadttor ungewöhnliches Verkehrskonzept

Kreuzberg. Das eigene Auto gibt es nicht mehr — nur noch das Depot um die Ecke. Früher konnte man sich dort wenigstens schnelle Blechkisten ausleihen, jetzt gibt es nur noch lahme Plastemobile. Auch der gute alte Wochenmarkt auf dem Winterfeldtplatz ist verschwunden. Holzbuden- und Würstchenwagenkultur mußte genormten Containern weichen. Die sind dafür jeden Tag vor Ort, das heißt eigentlich doch nicht. Montags bietet ein Containerdorf Waren an wie früher Supermärkte und Kaufhäuser. Dienstags sind die Montagscontainer wieder verschwunden, dafür kommen Beratungsstellen, Behördenvertreter, Banken und Versicherungen in Blechkisten an. Mittwochs wären die »Aktionsgruppen« (Kultur und Freizeitgestaltung) an der Reihe. Und so geht der fliegende Wechsel bis zum Sonntag weiter, bis der Montag die Warencontainer zurückbringt. Wie gesagt, das eigene Auto gibt es nicht mehr. Ein großer Teil asphaltierter Flächen wurden durch Bäume, Hecken und Kinderspielplätze ersetzt, Straßen wurden wieder Lebensräume.

Am Ende dieser Ausstellungseröffnung Das Auto verkehrt die Stadt, im Stadttor am U-Bahnhof Schlesisches Tor, ziehen die Initiatoren der Technischen Hochschule in Marburg den Schluß, daß eine Großstadt mit diesem Modell wieder lebenswert wäre.

Die Studenten des Fachbereichs Architektur haben ihr Modell vom Wechselwagen, den wandernden Märkten und dem Ipso-System für ein Stadtviertel in Frankfurt am Main durchgespielt. Mit ihrem »Wechselwagen«-Modell soll erreicht werden, daß es insgesamt weniger Kraftwagen gibt und diese besser genutzt werden. Ein Großteil innerstädtischer Straßenfläche würde nicht mehr zum Parken gebraucht werden. In dem beispielhaften Stadtviertel würden Wechselwagen-Depots, zu deutsch: Parkhäuser, wie Pilze aus dem Boden schießen. Über Bildschirmtext oder Computer könnte man sich ein Auto um die Ecke aussuchen und gleich darauf vollgetankt abholen. Die Projektgruppe hat erarbeitet, an welchen Orten wie viele Depots vorhanden sein müßten und wie stark der Autoverkehr durch verändertes Verhalten im Straßenverkehr abnehmen würde. Da freiwillig niemand gerne auf die individuellen Pferdestärken verzichtet, müßten die Unterhaltskosten für einen Privatwagen erhöht, Parkplätze rückgebaut und die weiter angebotenen Abstellflächen verteuert werden.

Hinter den wandernden Märkten steckt die Idee, daß der Verbraucher nicht mehr in Einkaufszentren fahren muß, sondern das Angebot bis vor seine Haustür gebracht wird. Städte könnten dezentral organisiert, viele Auto- und Bahnfahrten würden überflüssig werden, sagen die Studis, deren Arbeit von dem Stuttgarter Daimler-Benz-Konzern finanziell unterstützt wurde.

In einer zweiten Realisierungsstufe solle dann das Ipso-System eingeführt werden. Elektromobile würden in der Stadt das konventionelle Auto ablösen. Ihr großer Vorteil: Sie sind klein, brauchen deshalb wenig Parkfläche, sind leise und verpesten die Umwelt nicht. Weil sie nicht schneller als 30 fahren könnten, würde auf Straßen die Unfallgefahr wesentlich fallen. Ipsos wären steuerbegünstigt und dürften frei parken. Städtische Gebiete würden schrittweise für herkömmliche Autos gesperrt. Dirk Wildt

Das Auto verkehrt die Stadt vom 26. Februar bis 17. März, dienstags bis sonntags, 14 bis 19 Uhr, Stadttor, im U-Bahnhof Schlesisches Tor.

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