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Die Mikroelektronik der Ex-DDR wird abgewickelt

1989: Wir sind das Volk/ 1990: Wir sind ein Volk/ 1991: Wir sind das Volk der Arbeitslosen/ Betriebsbesetzung der Erfurter Ermik GmbH angedroht  ■ Von Veit Voigt

Erfurt (taz) — In der realsozialistischen DDR war die Mikroelektronik Hätschelkind vom damaligen Wirtschaftsverhinderer Günter Mittag. Wenn in vielen Industriezweigen jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren wurde, galt in der Mikroelektronik Neuaufbau. Zu propagandistischen Zwecken wurde gerne versucht, die Leistungen beispielsweise in der Chip-Produktion mit Weltniveau wenn schon nicht auf eine Stufe zu stellen, dann wenigstens diesem anzugleichen. Die SED-Führung hatte den Trend der Computertechnik um 20 Jahre verschlafen und hatte mit Beginn der 80er Jahre entsprechend riesige Rückstände aufzuholen. Für die Ostblockstaaten war es von allgemeiner strategischer Bedeutung — politisch und militärisch —, vom Westen unabhängig Chips produzieren zu können. Mit allen Mitteln und Methoden — inklusive Wirtschaftsspionage, illegaler Technologietransfer über Drittländer oder das „Kupfern“ von Chips — wurde versucht, auch mit Erfolg, die Cocom-Liste zu durchbrechen. Dieses faktische Embargo, das die Einfuhr bestimmter High-tech-Produkte in den Ostblock empfindlich unterbunden hatte, sollte durchbrochen werden. Entsprechend steckte die Führungsriege Milliarden in eine Palette von Betrieben und Forschungseinrichtungen, die sich mit Mikroelektronik befaßten. Eines der größten und Vorzeigeprojekte dieser Branche wurde vor den Toren der thüringischen Landeshauptstadt aus dem Boden gestampft. Das Mikroelektronik-Kombinat reihte sich in diesen politischen Kontext ein, mikroelektronische Schaltkreise aus eigener Kraft herzustellen. Zum anderen machte das Werk mit zusätzlich geschaffenen 4.000 Arbeitsplätzen aus Erfurt einen wichtigen Industriestandort. Für viele Ingenieure und Arbeiter bot der prosperierende Wirtschaftszweig eine Zukunft in der alten DDR. Trotz inkompetenter Wirtschaftspolitik, Mangelwirtschaft und technologischem Rückstand gelang es den Beschäftigten, für östliche Verhältnisse bemerkenswerte Ergebnisse zu erzielen. Das ehrgeizige Ziel, eine eigene Chipproduktion für den Osten zu errichten, wurde erreicht. In Erfurt expandierte die Wirtschaft, neue Wohngebiete entstanden.

Doch mit der „deutschen Einheit“ wurde schnell deutlich, daß auf rauhem internationalen Parkett, sozusagen unter dem Druck der Weltmarktbedingungen, das zarte ostdeutsche „Gebilde Mikroelektronik“ keinerlei Chancen hat. Zwar bescheinigen Experten ein mittleres technologisches Niveau, doch winken sie ab. Auf dem Markt herrscht eine Überproduktion von Schaltkreisen. In der alten DDR wurde ohnehin nur ein Prozent der Weltproduktion realisiert. Dieses Prozentchen kann ohne Probleme vernachlässigt werden. Bei einem Selbstkostenpreis von durchschnittlich 1 DM pro Chip und einem Verkaufspreis von 50Pfennigen war es für Billiganbieter aus Japan und Südostasien ein leichtes, den Binnenmarkt zusammenbrechen zu lassen. Dem Konkurrenzdruck nicht gewachsen zeigte sich auch der Hauptabnehmer für die Erfurter Chips: Robotron ging in die Knie, der Inlandmarkt bei allen Elektronikprodukten wurde hoffnungslos von der westlichen Konkurrenz überschwemmt. Auch der Handelspartner Nummer 1 im Osten, die Sowjetunion, sieht sich außerstande, die ohnehin im Vergleich zu teuren Produkte mit harten Devisen einzukaufen. Im Dezember vergangenen Jahres liefen die letzten Verträge mit Moskau aus. Die Produktion für den Inlandmarkt ist momentan auf ein Minimum heruntergeschraubt, auf Halde zu produzieren, ist unrentabel. Die Folge: Nunmehr wird ein ganzer Industriezweig „abgewickelt“.

Die Aussichten für die Erfurter Mikrochip-Produktion sind ohnehin nicht gerade rosig. Es gibt nur eine Möglichkeit, entweder auf ein völlig neues Erzeugnis umsteigen oder die Chips weiter an die SU über Kompensationsgeschäfte verkaufen und Subventionen zu erhalten. Das war seit einem Jahr klar, vergeblich verlief die Suche nach einem neuem Produkt. Von seiten der Treuhand gibt es bislang auch keine klaren Aussagen. Was die 8.000 Beschäftigten betrifft, sind noch rund 6.800 übriggeblieben, die bis zum 1.Juli auf 2.735, neueste Zahlen gehen von 1.800 aus, geschrumpft werden sollen. Im Moment sind fast alle auf null Stunden Kurzarbeit gesetzt, nur wenige sind noch halb- oder ganztägig beschäftigt. Der am Ende dieser Roßkur übriggebliebene Restbetrieb wird dann noch einmal verkleinert und soll in einzelne GmbHs zerstückelt werden. Der „Rumpfbetrieb“ wird nach dem Konzept der Betriebsleitung der Ermik GmbH 600 Leute beschäftigen. Die Treuhand hat noch nicht ihren Segen gegeben, und bereits jetzt ist der Betriebsrat skeptisch, was die Sicherheit dieser Arbeitsplätze betrifft. Es kann also nur noch schlimmer werden. Absehbar ist auch, daß die kleinen GmbHs nicht überlebensfähig sind.

Die Gewerkschaft bezeichnet das Gebaren der Betriebsleitung sarkastisch mit Salamitaktik. Sie will wenigstens für akzeptable Tarife sorgen, die dann als Berechnungsgrundlage für das Arbeitslosengeld dienen. Nur eines, das klappt: Für den Fall der Schließung des Unternehmens hat die ehemalige Leitung des Kombinates für sich selbst Abfindungen in Höhe von Zehntausenden von Mark gesichert. Der ehemalige Betriebsdirektor John und der ehemalige Parteisekretär Senf stellen heute die stolzen Geschäftsführer der Ermik GmbH. Als Neuunternehmer erklärten sie den aufgebrachten Beschäftigten ihr „Konzept der Entflechtung und Privatisierung“. Außer Vertrösten und Hinhalten der Belegschaft und Sprechblasen, wie „es ist an der Zeit, unternehmerisch zu handeln“, kommt nichts weiter als heiße Luft. Für sie stellt die Privatisierung nichts weiter dar als einen formalen bürokratischen Akt. Was den Sozialplan angeht, so ist der im vergangenen Jahr ausgelaufen, ein neuer ist bisher nicht in Sicht. Dafür ist kein Geld da. So werden die Beschäftigten wohl ohne eine Abfindung bekommen zu haben und ohne Arbeit außen vor stehen. Doch das will sich die Belegschaft nicht gefallen lassen. Wenn es keinen Sozialplan gibt, wird es zur Besetzung des Betriebes kommen. Gewerkschaft und Betriebsrat machten auf einer Betriebsversammlung am Montag deutlich, daß sie sowohl Unternehmer als auch Landes- und Bundesregierung in die Verantwortung nehmen werden. Für Mittwoch hatte die IG Metall zu einer Demo zum Landtag aufgerufen. Mit 50- bis 100.000 Teilnehmern wurde gerechnet. „Notfalls werden wir bis nach Bonn ziehen, um einen sozialen Übergang in die Marktwirtschaft zu fordern“, so der Betriebsrat. Wenn es nicht zu Strukturhilfen kommt, wird in einem halben Jahr eine Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland herrschen, die wesentlich schlimmer ausfallen wird, als zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1929/33. Was dann geschieht, wagt keiner vorherzusehen.

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