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Das Buchgefängnis von Sliven

Gespräch mit der bulgarischen Schriftstellerin Blaga Dimitrova  ■ Von Lyubomir Nikolov

taz: Können Sie uns von den Schwierigkeiten erzählen, die Sie mit Ihren Büchern unter dem alten Regime in Bulgarien hatten?

Blaga Dimitrova: Ja, aber wo soll ich anfangen? Soll ich Ihnen von den Büchern erzählen, die verboten wurden? Also — zusammen mit meinem Mann beschloß ich, ein Buch über unsere beste zeitgenössische Dichterin Elisaveta Bagriana zu schreiben, die 1890 geboren wurde. Wir wollten anhand des Porträts dieser Frau die kulturelle Geschichte Bulgariens vom Beginn des Jahrhunderts bis zur Gegenwart erzählen. Drei Bände haben wir geschrieben und waren dumm genug, die ersten beiden zu veröffentlichen. Sie wurden sofort verboten, der dritte Band blieb liegen.

Kurz danach wurde 1975 die berühmt-berüchtigte Anweisung in der Parteizeitung 'Rabotnichensko Delo‘ [Arbeiteraktion] publiziert. Unter dem Titel Gegen die Veränderung ästhetischer Werte war dies nicht nur ein Angriff auf uns, sondern auf alle bulgarischen Schriftsteller, die versuchten, die Wahrheit über die Vergangenheit zu sagen. Nach diesem Artikel war es schwierig, überhaupt noch etwas zu veröffentlichen. Kurz vor diesem Generalverbot war bereits mein Stück Bogomolkata [Die Betende] verboten worden; in diesem Stück ging es um das Leben einer Frau im Mittelalter, die sich mit der geistigen und seelischen Finsternis ihrer Umwelt auseinandersetzt. Auch meine Ballade Poplak za topolite [Trauer für die Pappeln] wurde verboten. Der damalige Chef der 'Literary Front‘, der Zeitung der Schriftstellergewerkschaft, schickte sie mir zurück und publizierte statt dessen ein bösartiges Gedicht gegen mich von Dimiter Motodiev.

Mein Buch Gesicht erschien 1981 und wurde sofort verboten, obwohl es durch den Zensor schon zusammengekürzt worden war. Die Behörden zogen jedes einzelne Exemplar ein und brachten die gesamte Auflage in einem schwarzen Lieferwagen in das Buchgefängnis von Sliven. In diesem einzigartigen Gefängnis wurden die Bibel, Faschismus von Zhelyu Zhelev, Chillies von Radoi Ralim, Bogdan Filovs Tagebuch und viele andere „politische Gefangene“ festgehalten.

Später schrieb ich ein Gedicht, in dem die gefangenen Bücher miteinander sprechen. Paulus sagt, wenn du keine Liebe hast, bist du am Ende; Faschismus sagt, wenn du keinen Mut hast, bist du erledigt; der Gummibaum aus meinem Buch Gesicht sagt, du bist erledigt, wenn du nicht die Kontemplationsfähigkeit eines Gummibaumes besitzt; die Chillies aus Ralims Buch antworten, daß ohne Humor alles verloren ist; und eine Fliege, die da herumsummt, erklärt: „Wenn du keine Freiheit hast, bist du nicht mehr als eine Fliege.“

Wegen der Publikation meines Buches Gesicht wurde der Lektor Dimiter Korudjiev entlassen. Der Verlag „Der bulgarische Schriftsteller“ schickte mir mein nächstes Manuskript, Urania, gleich zurück und verhinderte, daß auch nur eines meiner Gedichte in einer Zeitung oder Zeitschrift erscheinen konnte.

Glauben Sie, daß man im Ausland nur ein sehr unvollständiges Bild von der kommunistischen Zensur und ihren Opfern in Bulgarien hat?

Eindeutig. Obwohl viele, viele Bücher verboten wurden, wußte im Westen keiner davon. Vier Jahrzehnte lang waren wir voneinander und vom Rest der Welt isoliert.

Sie haben so oft unter der Zensur gelitten. Wie würden Sie das Gesicht der Zensur beschreiben?

Das schrecklichste war, daß viele der Zensoren unsere Kollegen und Freunde waren, oft enge Freunde. Ich glaube nicht, daß es Zufall war, daß so viele dieser Frauen und Männer, die oft selbst begabte Dichterinnen und Dichter waren, so früh gestorben sind: Andrei Germanov, Nadia Kehlibareva und Mihail Berbero zum Beispiel. Sie mußten so viele Bücher, die von ihren Freunden geschrieben worden waren, zurückweisen, und ich glaube, daß sie das umgebracht hat. Auch sie waren Opfer der Zensur.

Aber die Zensur hat viele Gesichter, und nicht alle waren so freundlich wie diese. Manche verdammten öffentlich Bücher und Gedichte und gaben Parolen aus, wie ein Buch geschrieben zu sein hat. Die Schriftstellerzeitung 'Literary Front‘ wurde zu einem Instrument, Schriftsteller zum Schweigen zu bringen. Als Liliana Stefanova Direktorin war, schickte ich eine Reihe von Gedichten ein, von denen einige offen politisch waren. Diese wenigen wurden nicht angenommen, und dafür stand im gleichen Heft neben den anderen ein gemeiner Artikel über mich. Schlimmer noch und wirklich widerwärtig war, daß ein Gedicht von Anna Achmatowa gegen mich ins Feld geführt wurde. Ich erhielt daraufhin anonyme Drohanrufe. Nikola Injov, der auch in der 'Literary Front‘ arbeitete, wies meinen Artikel ab, in dem ich gegen die Unterdrückung ethnischer Minderheiten protestierte. Er wurde dann in einer anderen Zeitung doch gedruckt, und ich fand eines Morgens einen Halbmond an meine Tür geschmiert. In der Vergangenheit hat man auf diese Weise Juden bedroht — aber das war unter dem Faschismus!

In den Ländern des früheren sowjetischen Lagers benutzte man häufig den Ausdruck „Selbstzensur“. Was verstehen Sie darunter?

Das ist schlimmer noch als Zensur und eine typische Konsequenz des Kommunismus. Man beschränkt sich selber und schreibt nicht mehr, woran man glaubt, sondern das, was akzeptabel ist. Meine Krankheit half mir, dem zu entgehen. Als ich erfuhr, daß ich Krebs habe, sagte ich mir: wenn du dich von der Operation wieder erholst, wird dich nichts mehr halten. Ich werde sagen, was ich will und die Konsequenzen auf mich nehmen. Meine Geanken an den Tod halfen mir, das Sklavendenken zu überwinden. Ich wollte jungen Leuten immer sagen: „Macht keine Kompromisse, denn irgendwann habt ihr vielleicht keine Zeit mehr zu sagen, was ihr damals sagen wolltet.“

Die Situation in Bulgarien hat sich jetzt aber doch verändert?

Ganz bestimmt. Endlich sind wir in der Lage, uns wirklich frei auszudrücken. Wie Stumme, die plötzlich sprechen können, reden wir über alles, was all die Jahre über uns gehangen hat. Jetzt ist die Zeit der Individuen und ihrer Stimme angebrochen. Ich hoffe, sie werden wirklich als Einzelne sprechen, auch gegen die neuen Moden des Augenblicks.

Was hat Ihnen in all diesen Jahren geholfen zu überleben?

Ich habe jedes Gedicht geschrieben, als wäre es mein letztes.

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