: Eine Sauna voll kaukasischer Mafiosi
■ Sergej Owtscharows „Es — von Zaren und Monstren“, 23.00 Uhr, ARD
„Das Volk wurde an einem Tag vollständig vernichtet, erstaunlicherweise aber kroch es am nächsten Tag wieder aus allen Ecken“, schrieb der russische Dichter Saltykow Schtscherin (1826 bis 1889). Mit faszinierender Sprachgewalt feuerte der Satiriker im Jahre 1870 mit seinem allgegorisch verschlüsselten „bürokratischen Epos“ Die Geschichte einer Stadt ein Feuerwerk bissiger Anspielungen auf die Geschichte Rußlands und seiner Herrscher im 18. und 19. Jahrhundert ab.
Der sowjetische Regisseur Owtscharow übersetzte das literarische Konstruktionsprinzip kongenial in die Geschichte der Kinematographie. Mit dem Rattern des Filmprojektors beginnt die überlieferte Zeit. Es — von Zaren und Monstren (1989) beginnt mit verschwommenen, braunstichigen Bildern. Ruckartige Bewegungen und überbelichtete Gesichter suggerieren die entsprechende Qualität des Filmmaterials.
Besagte „Stadt“, nicht zufällig auf sieben Hügeln errichtet, beschließt nach ewiger Wiederkunft von Ausrottung und Inzest „eine Ordnung zu schaffen“. Dazu wird ein Fürst ernannt, der bereit ist, das Volk zu führen. Mit seinem Versprechen, „Ich peitsche euch zu Tode“, setzt die überlieferte Geschichte ein, die Owtscharow als Abfolge von Stadthaltern erzählt, deren Staatsgeschäfte regelmäßig mit der kompletten Ausrottung der Bevölkerung enden.
Daß Owtscharow bei der satirischen Revue bekannter politischer Figuren wie Lenin, Stalin, Chruschtschow, Gorbatschow ausschließlich auf den Text Schtscherins als erzählenden Kommentar zurückgreift, verleiht seinem Geschichtskarneval eine Distanz, die den Film vor jenem sozialistischen Realismus mit umgekehrtem Vorzeichen bewahrt, wie er aktuellen „Glasnost-Produktionen“ oft zueigen ist.
Die Abfolge der behandelten Epochen wird durch die unmerkliche Angleichung des filmischen Materials sowie Zitaten zeitgenössischer ästhetischer Stereotypen kommentiert. Das Gestaltungsprinzip gipfelt am Ende in den verschwommenen Videoübertragungen der Parlamentsdebatten, Bildstörung inbegriffen. Ein Prinzip, das den Film in heterogene Partikel zersprengt hätte, würde nicht die groteske Stilisierung der Personen und Situationen immer wieder die historische Wegstrecke nach Art eines politischen Volksbilderbogens vor Augen führen. Breschnew etwa kommt als Nosferatu mit abnehmbarem Schädel daher, in dem eine Spieldose immer den Satz: „Ich werde es nicht dulden“ wiederholt. Gorbatschow laviert zwischen jugendlichen Drogenfesten und einer Sauna voller kaukasischer Mafiosi.
Selten hat ein Film eine derartige Fülle makaberer und zynischer Kommentare auf die Geschichte in einem Guß vereinigt. Der Film ist ein Geniestreich. Die 130 Minuten werden sicherlich wieder unbeachtet in der Röhre verglimmen, anstatt Kinosäle mit klatschenden Händen zu füllen, wie dies bei der enorm gepushten Kommissarin von Askoldov der Fall war, an deren Größe Es — von Zaren und Monstren durchaus heranreicht. Manfred Riepe
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