piwik no script img

Regierung stellt Ultimatum

In der serbischen Kleinstadt Pacrać stehen sich kroatische Spezialeinheiten und Regierungssoldaten gegenüber/ Serben lehnen kroatische Autonomiebestrebungen ab  ■ Aus Pakrać Roland Hofwiler

Am Schulzentrum und Krankenhaus stehen die „Grauen“, vor dem Rathaus und Zentrum die „Blauen“. Die „Blauen“, das sind für die Einwohner des Städtchens die „Okkupatoren“, die ungeliebte kroatische Spezialeinheit, eine paramilitärische Polizeigruppe. Sie ist dem kroatischen Präsidenten Tudjman direkt unterstellt. Die „Grauen“, die hat man gerufen. Die Pakraćer setzen ihre ganze Hoffnung auf die „Sozialistische Volksarmee Jugoslawiens“, die in ihrer Stadt wie eine Okkupationstruppe wirkt.

Wie es zu dieser Situation gekommen ist, wer zuerst wen provozierte, das ist — wie bei so vielen Konflikten in diesen Tagen in Jugoslawien — nicht klar auszumachen. Fest steht, daß sich in Gebieten mit mehrheitlich serbischer Bevölkerung Widerstand regte, kurz nachdem Kroatien vor zwei Wochen erste Schritte zur staatlichen Unabhängigkeit erklärte. Auf einer Fläche von der Größe des Saarlands riefen rebellische Serben im Gebiet von Knin das „Autonome serbische Gebiet der Krajna“ aus und sagten sich von der Hauptstadt Kroatiens, Zagreb, los. Obwohl Pacrać 300 Kilometer von Knin entfernt liegt — und ebensoweit von Belgrad —, beschlossen die 6.000 Einwohner von Pakrać am vergangenen Donnerstag, sich mit Knin und Belgrad „als politische Einheit“ zu verbinden.

Ein Schildbürgerscherz, könnte man meinen. Doch die Pakraćer sind anderer Ansicht. „Wir können nicht zulassen, daß Kroatien einfach erklärt, es trenne sich von Jugoslawien“, so der Barkeeper Dragomir, „wir Serben wollen in unseren alten Staat leben, in Jugoslawien, das unsere Großeltern und Eltern geschaffen haben.“ Im Pakraćer „Podrum“, einer Kellerkneipe, war man sich am gestrigen Sonntag einig: Seitdem Tudjman in Kroatien Präsident sei, habe man als Serbe keine Rechte mehr. Und die Gäste legen, bei manch einem Tropfen Slibowitz zuviel, ihre „Beweise“ vor: Fast jeder Serbe in Pakrać verliere seinen Arbeitsplatz, über die Hälfte aller Beschäftigten sei schon arbeitslos. Und warum? „Weil wir gegen Zagreb votierten und dem kroatischen Faschisten Tudjman nicht Gefolgschaft leisten“, so ein Gast, der sich als Rechtsanwalt bezeichnet. Von der vielversprochenen kulturellen Autonomie für die Serben sei nichts zu sehen. Ein Rundgang durch das Städtchen bestätigt: Zwar tragen manche Geschäfte tschechische Inschriften, serbisch-kyrillische finden sich höchstens auf dem Friedhof. Selbst serbische Zeitungen zu ergattern ist schwer, serbische Radio- oder Fernsehsender zu empfangen unmöglich.

Das schmerzt. Doch nicht erst seit kurzem. Während den Tschechen und Ungarn der slowenischen Hügellandschaft zwischen Daruvar und Pakrać in den letzten Jahrzehnten eine gewisse kulturelle Autonomie zugestanden wurde, hatten die Serben sogar Schwierigkeiten, anstelle ihrer alten orthodoxen Kapelle eine Kirche zu errichten. Aber müsse man dann gleich die Losung ausgeben, weg von Zagreb, hin zu Belgrad? Petar Olujic, ein Bäckerlehrling, ist überzeugt: „Mit den Kroaten können wir nicht zusammenleben. Wenn diese einen eigenen Staat ausrufen, da kommt es zu Krieg zwischen ihnen und uns. Wir kommen nur in einem Jugoslawien klar, wo viele Völker zusammenleben.“ Das habe doch bereits Tito gesagt? Gesagt, aber nicht getan, erklären die Zechgäste, Tito sei bekanntlich mehr Nationalist gewesen als Kommunist. Aber jetzt gäbe es ja Demokratie, da forderten doch alle Völker Osteuropas ihre nationale Identität zurück. „Soll es da ein Verbrechen sein, Serbe zu sein?“ Im „Podrum“ singt man alte Volksweisen. Die Gegenfrage, weshalb Minderheitenrechte den Kroaten im serbischen Kernland und in der Vojvodina vorenthalten werden, trifft auf taube Ohren.

Es schien gestern auch kaum einen der Pakraćer zu stören, daß sowohl die kroatische Spezialeinheit wie auch die Volksarmee Stärke demonstrierte. Ununterbrochen fuhren kroatische Panzerwagen mit der kroatischen Nationalfahne durch den Ort, bildeten kroatische Polizisten in blauer Uniform einen undurchlässigen Kordon vor der örtlichen Polizeistation und dem Rathaus, während am Ortsausgang und etwas entfernt vom Zentrum graue Panzerkolonnen ein gespenstisches Bild abgaben. Es herrschte Ruhe in der Stadt. Nur aus den wenigen geöffneten Kneipen war Lärm zu vernehmen, denn wer konnte, blieb doch sorglich zu Hause, ging nicht spazieren und benutzte kein Auto.

Und so hörte man, nicht im Ort, sondern in den umliegenden Dörfern und vor allem in den Wäldern, „da bereite man sich vor“. Dort werde bereits geschossen. Dort sei mit Kampf zu rechnen, nicht in der Stadt. Das Umland zu betreten würde denn auch bereits unter Strafe gestellt. Die Leute sind zuversichtlich, denn sie wissen: Was in den letzten Stunden sowohl der Belgrader Rundfunk als auch der Zagreber verbreitete, davon ist nichts wahr. Belgrad sprach bereits von Straßenkämpfen in den Straßen von Pakrać mit sechs Toten. Zagreb behauptete, überall in der Stadt seien über Nacht Straßenbarrikaden und „Festungen“ errichtet worden, um die anrückende kroatische Polizei daran zu hindern, „Ruhe und Ordnung“ wieder herzustellen.

Als Fremder ist man dennoch erschrocken, wie leichtfertig und vorsätzlich auf dem Pulverfaß Jugoslawien gezündelt wird. Es schockiert, wie die Menschen den Truppenaufmarsch als unabwendbar hinnehmen. In ihren Köpfen wird schon Krieg gespielt. In den stündlichen Nachrichtensendungen hört man immer das gleiche: „Wir geben vor den serbischen Terroristen nicht auf“ (Studio Zagreb), oder von Radio Belgrad: „Das faschistische Regime von Franjo Tudjman erklärt unseren serbischen Brüdern offen den Krieg, bietet dem Einhalt!“ Der Sender rief gestern deshalb zu Großkundgebungen in allen serbischen Großstädten auf, um damit den Rückzug der kroatischen Spezialeinheiten in Pakrać zu erzwingen. „Pakrać muß wieder frei atmen können“, so der Sender.

In der Nacht zum Sonntag hatte der jugoslwawische Präsident Borisav Jovic den kroatischen Behörden ein 24stündiges Ultimatum gestellt, um die Lage in Pacrać zu normalisieren. Und am Sonntag drohte das Präsidium dann mit „weiteren Maßnahmen“ zur Herstellung der Ordnung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen