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■ BONGWATER

Einer der legendären und goldenen Vampire, ob Gitarrist oder Sänger spielt hier keine Rolle, hat noch das Tape einer Freundin, die wegen des Verlusts viel Herzblut verschüttete: Die Bedroom-Sessions von Nico und Lou Reed. Da haben die zwei zusammengesessen, getrunken, geschrammelt, gedichtet und gesungen, mag Reed sich auch heute in den Interviews gewitzt an die alte VU-Zeit in der Hauptsache wegen der eigenen Kreativität entsinnen, wie einst Orpheus. Bedroom-Sessions, vertraut zu zweit dasitzen, manchmal wird Liebe daraus. Ein bißchen wird sich der kleine, schmächtige und immer leicht angegammelte Kramer in die voluminöse, schillernde Ann Magnusson verliebt haben, wo sie bei Bongwater soviel gemeinsam bewältigen müssen, sei es Aufklärungsarbeit in Sachen Liebesleben oder Chakrasakrilegen.

»The Power of Pussy« gibt mit scheherazadischen Gesängen und Dichtungen Einblicke in die Liebes-, d.h. Phantasie- und Wunschwelt von Frau Magnusson, zu der Kramer gewinnend Gitarren sägt und ein Trommler ab und an die Stöcke auf die Snaretrommel fallen läßt. Daraus werden merkwürdige mitternächtliche Exzesse. Sie reichen von Krachorgie, Telephoneinspielung und Hörspiel bis zu mittelalterlichen Fast-Liturgien und Bänkelgesang, was für einen Ex-Shockabilly, Ex-Butthole Surfers, Ex-Fugs, Ex- B.A.L.L., Ex-Half Japanese, Ex... ein zugegebenermaßen an Glaubenswandel gemahnendes Unterfangen ist. Vielleicht führt aber gerade der Weg über so viele verflossene Lieben zu der einen, echten und Wahren, wie unseren Orpheus aus Amerika, dessen Eurydike selber über Sex zur Emanzipation schreibt, und nicht ungekehrt.

In nahezu meditativer Anspannung summt Kramer zu ihren Monologen aus dem Hintergrund, oder verharrt auf einem einzigen einfach gedehnten Folk-Akkord in gebührender Entfernung, wenn Ann von einem besonders prächtigen Männerteil berichtet (»Chicken Pussy«). Eine das Herz anrührende Verbindung findet da statt. Zärtlich kreist die Musik um das eine, was natürlich gar niemand hören, sondern vor allem bitteschön spüren will, vielleicht zu noch späterer Stunde, wenn der spärliche Gitarrenfluß von Bongwater aufgerichtet und zu Höchstform angeschwollen ist.

Liebe als Fluxus, mal wieder, und Text als Verführung — bei Bongwater eine gute, andauernde Einswerdung. Wenn nicht, macht Kramer in Kürze wohl wieder Kunstkrach oder heult sich bei Galaxie 500 aus. Er lebt eben im Land der unbegrenzten (Paarungs-)Möglichkeiten. (Um 20.30 Uhr im Loft) Harald Fricke

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