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Weit unterhalb des Notwendigen

■ Die Bundesrepublik leistet kaum Hilfestellung bei der polnischen „Reise nach Europa“

Berlin (taz) — Leichtfertige Versprechungen gehören zum Regierungsstil des Bundeskanzlers. Seit dem 1.Januar schon müßten die Polen visumfrei in die BRD einreisen dürfen, der Grenzvertrag und der Generalvertrag mit Polen hätten im Februar den Bundestag passieren, die deutsche Regierung hätte sich dem Pariser Klub gegenüber für eine Reduzierung der polnischen Schuldenlast verwenden müssen. Statt dessen zwei Monate Funkstille. Jetzt regnete es erneut Versprechungen. Was sind die Ergebnisse der Gespräche?

Die Verhandlungen über die Verträge sollen am 19./20. März wiederaufgenommen und möglichst zu Ende geführt werden. Noch vor der Sommerpause sollen sie ratifiziert werden. Ein weiteres Mal versprach die deutsche Seite, diesmal durch Waigel und Möllemann, sich für Schuldenkürzungen starkzumachen — konkrete Zahlen wurden nicht genannt. In den Generalvertrag soll ein Kapitel über die deutsche Minderheit in Gorny Slansk (Oberschlesien) aufgenommen werden. Von deutscher Seite war zu hören, daß der Generalvertrag einen Passus enthalten muß, der Konsultationen über auftretende Minderheitenkonflikte vorschreibt. Das deutsch-polnische Jugendwerk soll noch in diesem Jahr die Arbeit aufnehmen und nach dem französisch-deutschen Vorbild ausgestaltet werden. Frau Süßmuth stellte in Aussicht, daß die Visumpflicht für Polen in diesem Frühjahr auch dann aufgehoben werden wird, wenn die anderen Partner des Schengener Abkommens noch nicht so weit sind, ihr zuzustimmen. Die Bundestagspräsidentin sprach sich für die rasche Neugründung bzw. den Ausbau deutscher Kulturinstitute in Polen aus. Schließlich trat sie dafür ein, eine deutsche Stiftung für die Entschädigung polnischer ZwangsarbeiterInnen im Zweiten Weltkrieg zu begründen. Sie nahm damit den unverbindlichsten aller Vorschläge auf, die in der polnisch-deutschen Diskussion dieses trostlosen Themas entwickelt worden waren.

All das klingt nicht schlecht, bleibt aber weit hinter den Erfordernissen zurück — von den polnischen Erwartungen ganz zu schweigen. Nach einer anfänglichen Phase des Mißtrauens, hervorgerufen durch die deutschen Manöver in der Grenzfrage, hat die polnische Regierung mehr und mehr auf Hilfe von deutscher Seite gesetzt. Andrzej Szczypiorskis Wort „der Weg Polens nach Europa führt über Deutschland“ ist zur Regierungsmaxime geworden.

Immer wieder war von deutschen Staatsleuten versichert worden, die deutsch-polnische Verständigung besitze eine ähnliche Schlüsselstellung für Europa wie die deutsch- französische in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg. Wo aber bleiben die konkreten deutschen Initiativen, die Polen (aber auch den anderen ost- und ostmitteleuropäischen Staaten) den Weg zur Assoziierung an die EG ebnen würden? Man spricht von Exporterleichterungen und Krediten. Auf dem Tisch liegen aber seitens Polens und der CSFR Konzepte, die nach dem Vorbild des Marshallplans modelliert sind und die das entscheidende Problem, die Modernisierung der Industrien dieser Länder aufgreifen. Ähnlich kleinkariert wird auch das Problem des visafreien Reisens behandelt. Statt eine europäische Lösung zu avisieren, die künftige Westreisen der Bürger der Sowjetunion und Südosteuropas mit einschließt, wird den Polen aufgegeben, an ihrer Ostgrenze den Wachhund für die Staaten des Schengener Abkommens zu spielen. Abgesehen von der moralisch zweideutigen Position, in die dadurch eine Nation manövriert wird, die wie die polnische für ihre eigenen Bürger die Freizügigkeit in Europa in Anspruch nimmt, wird dadurch generell die Tendenz zur Zweiteilung des Kontinents befestigt. Die Staatsleute Ostmittleuropas wissen aber sehr wohl, daß ihre Westorientierung nicht um den Preis ihrer Verbindungen zur Sowjetunion erfolgen kann.

Von nationalstaatlicher Enge geprägt ist auch die Position der Bundesregierung in der Minderheitenfrage. Statt die polnische Regierung zu ermutigen, in ihrer großzügigen Behandlung aller Minderheiten fortzufahren und sich mit einer generellen Regelung der Minderheitenprobleme durch die polnische Verfassung zufrieden zu geben, besteht sie auf Sonderabmachungen und Konsultationsrechten. Dadurch wird die sowieso schon auf die BRD fixierte deutsche Minderheit noch mehr dem Gedanken entfremdet, als polnische Staatbürger deutscher Zunge zu leben. Auf polnischer Seite aber wird Chauvinismus und Fremdenhaß produziert. Christian Semler

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