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Die Praxis der Dissertation

■ Christine Donath bei Dr. Christiane Müller

Seit ein paar Monaten gibt es in Berlin Mitte in der Clara-Zetkin-Straße die Galerie »Dr. Christiane Müller«. Hier werden Arbeiten von Künstlerinnen aus Ost- und Westberlin ausgestellt.

Christiane Müller kam nach ihrer jahrelangen Auseinandersetzung mit der Kunst von Frauen — in der DDR wurde die Erforschung dieses Themas weder unterstützt noch honoriert — zu dem Entschluß, ihr theoretisches Wissen über bildende Künstlerinnen in der Praxis einer professionellen Galerie umzusetzen. Schon vorher hatte sie vereinzelt Ausstellungen speziell von Künstlerinnen in verschiedenen Jugendklubs organisiert, konnte ihre Idee einer eigenen Galerie jedoch nicht verwirklichen. Kurz vor dem Abschluß ihrer Promotion an der Humboldt- Universität über Lebens- und Arbeitsbedingungen bildender Künstlerinnen zu Beginn der Achtziger Jahre fiel die Mauer. Christiane Müller hatte genügend Kontakte geknüpft und wagte die eigene Galeriegründung. Schöne Räume fanden sich im Haus des Autorencollegiums, das auch mehreren Ostberliner Kulturprojekten ein Dach bietet.

Auf eine bestimmte Stilrichtung ist das Galerieprogramm nicht fixiert. Einzige Vorgabe ist, daß sich eine gegenständlich mit einer abstrakt arbeitenden Künstlerin abwechseln soll. Obwohl außer der Qualität das weibliche Geschlecht erstes Auswahlkriterium ist, besteht nicht der Anspruch, eine explizit feministische Kunst auszustellen. Die Künstlerinnen der ehemaligen DDR hatten, wie ihre Kolleginnen im Westen, mit strukturellen Benachteiligungen und gegen eine unzureichende Präsentation ihrer Werke zu kämpfen.

Bisher jedoch fragten überwiegend Künstlerinnen aus Westberlin nach Ausstellungsmöglichkeiten bei Christiane Müller, während die Ostberliner Künstlerinnen in dieser kapitalistischen Selbstanpreisung noch nicht geübt sind. In der DDR bestand kein ökonomischer Zwang, ausstellen zu müssen; von Auftragsarbeiten ließ es sich leben. Ziel von Christiane Müller ist es, mit dem Verkauf der Werke einmal ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Daß die Käuferinnen nur aus dem Westteil der Stadt kommen, wird sich in naher Zukunft allerdings nicht ändern.

In ihrer Dissertation weist Christiane Müller auf den Zusammenhang hin zwischen den Lebensbedingungen von bildenden Künstlerinnen, die oftmals Schwierigkeiten haben, Privatleben und Arbeit klar zu trennen, und ihre künstlerischen Techniken zu wählen. Malerinnen bevorzugen kleinformatige Tafelbilder, weil dort immer wieder neu angesetzt und übermalt werden kann, oder die Malweise von Aquarellen und Zeichnungen, die ein schnelles Arbeiten erlaubt. Aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen verwenden Frauen nur selten aufwendige Materialien oder Farben, bei denen über einen längeren Zeitraum hinweg ohne Unterbrechung kontinuierlich gearbeitet werden muß, wie z.B. bei Radierungen, Lithografien oder der Bildhauerei in Stein.

Auch die Arbeiten von Christine Donath sind Aquarelle und Federzeichnungen. Die 1945 geborene Malerin studierte nach einer Grafikausbildung an den Kunsthochschulen in Dresden und Krakau. Ihre auf den ersten Blick relativ konventionell wirkenden Federzeichnungen zeigen überwiegend Frauenakte. Die stark konturierten Köpfe erinnern mit ihren großen Augenhöhlen an Totenköpfe und strahlen eine eigentümliche Melancholie aus. Das immer wieder neue Ansetzen der Feder verdeutlicht die Gebrochenheit der Figuren und bewirkt bei längerer Betrachtung ein tieferes Interesse an den Frauen. Die Aquarelle, vorwiegend Frauenakte in der Natur, bestechen dagegen mit einer hellen Farbigkeit und zeigen einen harmonischen Einklang von Mensch und Natur.

Die nächsten sechs, monatlich wechselnden Ausstellungen sind bereits geplant, zum Teil in Zusammenarbeit mit der Ostberliner Ladengalerie. Christiane Müller hofft, daß sich ihre Galerie zu einem festen Treff- und Diskussionspunkt Berliner Künstlerinnen entwickelt. Angst macht ihr einzig das Bundesinnenministerium, Besitzer des Gebäudes, das schon eigenes Interesse an einem Grundstück in solch einer zentralen Lage angemeldet hat. Bettina Schültke

Clara-Zetkin-Straße 90, Mo-Fr 10-18, Sa 10-14/16 Uhr

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