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Spätlese: Charlotte Bronte

Charlotte Brontä: Der Professor . Aus dem Englischen von Gottfried Röckelein. Verlag ars vivendi, 302 S., geb. 29 DM

Charlotte war die älteste der Brontä- Schwestern, die durch Elsemarie Maletzkes Biografie in Deutschland von legendären zu faßbaren Gestalten wurden: drei begabte, willensstarke und intelligente Frauen einer Zeit, in der das Vermögen des Vaters und die Biegung der Nase das Schicksal wesentlicher bestimmten als alle drei genannten Eigenschaften jemals ausgleichen konnten. Die Gemeinde der Brontä- Schwestern ist mit Sicherheit weniger zahlreich, aber — den literarischen Vorlagen entsprechend — expressiver begabt als die der ungleich spröderen, genauer kalkulierenden englischen Schriftstellerin und Zeitgenössin Jane Austen, von der eine der Brontä-Schwestern schrieb, sie sei zwar „von chinesischer Zartheit“ in ihren Schilderungen, von bewundernswerter Genauigkeit, aber — ich zitiere aus der Erinnerung — doch eigentümlich leblos, wenn nicht pedantisch. Diese letzte Eigenschaft ist eine, die keiner der Schwestern aus Wales nachgesagt werden kann, deren Literatur eher einen Überschuß an Temperament ausdrückt und deren produktivste Vertreterin der Süße vergeblicher Regungen romantischer Art den gebührenden viktorianischen Platz durchaus einräumt. Der erste von ihr geschriebene Roman, Der Professor, ist zugleich der letzte, der ins Deutsche übertragen wurde — von einem Mann, der Gottfried Röckelein heißt und seiner Aufgabe überraschend wenig gerüscht nachkommt. So läßt er eine Lehrerin Mitte des 19. Jahrhunderts von einem „sozialen Umfeld“ sprechen und schwankt insgesamt zwischen einigermaßen unbeholfenen Modernismen und Sätzen höchster Musikalität. Der Roman selbst sublimiert die Biographie der Autorin in interessanter Weise: War sie aus einer moorig-grauen Landschaft Englands nach Belgien an eine höhere Mädchenschule gereist, um dort Englischunterricht zu geben und sich in den Mann der Direktorin zu verlieben, reist der Held dieser Geschichte von England nach Brüssel, um dort zwar von der Direktorin umgarnt, aber schließlich einer Kollegin „eingefangen“ zu werden — einer Kollegin, die, selbst arm und vom Schicksal arg gebeutelt, bescheiden und tapfer, alle jene Eigenschaft aufweist, mit denen die unglückliche Charlotte nach einem Jahr in die Heimat zurückkehrte, um dort vergeblich auf Liebesbriefe des Professors zu warten. Es fällt schwer, diesen Roman anders zu lesen als eine literarische Vervollkommnung der unvollkommenen Wirklichkeit, so sehr entfernt ist diese Textur des Schicksals von Charlotte Brontä und von uns. Um so interessanter das Vorwort, in dem die Autorin das Übermaß an Realistik verantwortlich macht für den anfänglichen Mißerfolg dieses Manuskripts mit Happy- End: „Ich hatte mir vorgenommen, daß sich mein Romanheld so durchs Leben kämpfen sollte, wie ich erlebt hatte, daß es Männer“ (sie erlaubt sich nicht einmal von Frauen zu schreiben) „in der Wirklichkeit taten: daß er nie einen Schilling erhalten sollte, den er nicht selbst verdient hatte, daß keine überraschenden Wendungen ihn von einem Augenblick zum anderen zu Wohlstand oder in eine hohe Stellung gelangen lassen sollten; daß er, ehe er auch nur ein schattiges Plätzchen finden konnte, um sich auszuruhen, zumindest halbwegs den ,Berg der Schwierigkeiten‘ erklommen haben sollte; daß er außerdem kein Mädchen von Schönheit oder keine Dame von Rang heiraten sollte. Als Sohn Adams sollte er Adams Schicksal teilen und im Verlaufe seines Lebens einen sehr vermischten und bescheidenen Becher der Freude leeren. Zwischenzeitlich habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Verleger im allgemeinen einen solchen Entwurf nicht sonderlich schätzen, sondern daß sie lieber etwas Phantasievolleres und Poetischeres gehabt hätten — etwas, das einer erregten Vorstellungskraft mehr entgegengekommen wäre, mit einem Sinn für Pathos, mit zarteren, erhabeneren, eher unirdischen Gefühlsregungen.

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