Der Abrahamkomplex der alten Männer

Der militärisch-industrielle Komplex der westlichen Länder ist eine neue Stufe in der Entwicklung des Patriarchats  ■ Von Nadia Hakimi

Als Tunesierin, als Bürgerin dieser Welt, in der ich täglich den vielfachen Formen der Diskriminierung und der Unterdrückung des patriarchalen Systems unterworfen bin, bleibt mir die Nacht des 15. Januar eingeschrieben in die Erinnerung. Sie hat die Logik eines Herrschaftssystems in ihrer gewalttätigsten Form gezeigt.

Der diesjährige internationale Tag der Frau, acht Tage nach dem Waffenstillstand, sollte die Frauenbewegungen in allen Ländern dazu bewegen, die Beziehungen zwischen den Herrschaftsverhältnissen und dem Komplex der Rüstungsindustrien zu thematisieren. Denn es reicht nicht aus, festzustellen, daß wir als Frauen durch ein patriarchales System diskriminiert und ausgebeutet sind und Gewalt erfahren. Es muß uns heute darum gehen, die ihm innewohnenden Mechanismen genauer zu beschreiben. Was macht es möglich, daß sich dieses System immer wieder reproduzieren und immer wieder erstarken kann?

Ich muß zugeben, daß es mir auch heute noch, nach dem Waffenstillstand, schwerfällt, über diesen Krieg zu sprechen, und über die offenkundige Verfälschung des internationalen Rechts, die dabei vor sich ging. Die französische Rechtsanwältin und Ex-Botschafterin bei der Unesco Gisela Halimi schreibt: „Ohne Zweifel sind die Vereinigten Staaten die die UNO und den Sicherheitsrat beherrschende Macht, die die anderen mit sich ziehen. Gleichzeitig sind die USA auch diejenigen, die der UNO und anderen internationalen Organisationen mit Herablassung begegnen. Als es um die Entscheidungen in Nicaragua, Granada und Panama ging, haben sie sich durch die Debatten in der UNO wenig beeindrucken lassen.“

Und heute wagen es die USA, in aller Unschuld und mit dem Segen des Sicherheitsrates von einem „sauberen“ Krieg zu sprechen. Für alle Menschen, die demokratische Rechte einfordern, ist es beschämend, mitansehen zu müssen, wie vor unseren Augen eine Maschinerie der Täuschung aufgebaut wird, die das Recht auf Frieden zum Vorwand nimmt, um den Krieg zu führen. Obwohl der Waffenstillstand verkündet ist, setzt das gesamte Kommunikationsarsenal seine Hysterie fort und stellt uns täglich verschiedene Scenarios vor, was aus dem Irak mit oder ohne Saddam Hussein geworden ist.

Wieso gibt die westliche Welt gerade in der Auseinandersetzung mit „dem Araber“ ihre eigentlichen Interessen preis, warum passiert hier diese Entmystifizierung? Die arabische Welt will ein Stück vom Kuchen, und der Krieg verfolgt die Absicht, sie daran zu hindern.

Ist der Irak etwa kein würdiger Gegner der Kolonialmächte? Man sollte besser sagen, daß seine Ähnlichkeit dem Meister unverschämt erscheint. Der Herausforderer küßt nicht länger die Hand, sondern erlaubt es sich außerdem, noch einen kräftigen Tritt zu erteilen. In den Augen der „Weltdemokratie“ muß dieser Wahnsinn an Angabe bestraft werden. Die Araber sind von den okzidentalen Mächten immer von oben herab behandelt worden — wie könnten diese es zulassen, daß ihnen nun ein Spiegel vorgehalten wird, in dem sich der Alptraum eines Alter egos aus Kälte, Willen und Vernunft abzeichnet?

Der Krieg zwischen Orient und Okzident ist kein Krieg zwischen zwei Kulturen, zwei Visionen, zwei Mentalitäten, wie es uns der journalistische Analphabetismus ständig einhämmert. Er ist weder Kreuzzug noch heiliger Krieg zwischen zwei Welten, die sich nicht verstehen können. Im Gegenteil, sie verstehen sich nur zu gut, ihre Sprache ist ähnlich geworden wie die unter Brüdern. Der Orient fordert den Okzident in seinen eigenen Mitteln.

Aus Angst, seine Vorherrschaft und seine weltweiten Privilegien zu verlieren, hat der Okzident eine Argumentationskette zur Gewalt entwickelt, die seine eigene Identität totalitär als Maß setzt. Seine Kultur ist nicht mehr Ausdruck eines universellen rechtlichen Gedankengebäudes.

Die westliche Kultur hat sich in eine Kommunikationskultur verwandelt, die das Bewußtsein um den Geschmack der Wahrheit bringt. Die Massenmedien vollziehen öffentlich eine Zensur, die das Spektrum des Totalitären vervollständigt. Die Stimme des Bewußtseins der okzidentalen Kultur ist den wachsenden Ansprüchen der Großmächte gewichen. Je stärker die Massenmedien universal sein wollen, desto heftiger wird die Ausschließlichkeit ihrer Kultur formuliert. Deshalb muß die Frage nach der zunehmenden Militarisierung und ihrem Verhältnis zur Herrschaft über andere bedacht werden.

Die neue Form der Kommunikationskultur wird dadurch begünstigt, daß die Rüstungsindustrie in die großen Kommunikationsnetzwerken, Agenturen, Zeitungen und Filmen investiert.

Die herrschenden Klassen in den Ländern, die „am Rande“ dieser rüstungsproduzierenden Kulturen liegen, versucht man nun zu überzeugen, ihrerseits eine Rüstungsindustrie aufzubauen. Der Irak wie andere Länder der „dritten“ Welt haben in eine moderne Verteidigungsstreitmacht investiert, und diese Aufrüstung wird mit der nationalen Verteidigung gegen einen eventuellen Feind gerechtfertigt. Aber die Behauptung, durch Abschreckung bleibe der Frieden erhalten, hat sich in der Geschichte der Völker als falsch erwiesen. Der französische Soziologe Gaston Bouthoul weist nach, daß in 2.610 Jahren die Männer 1.650 Mal den Frieden durch die Verstärkung ihrer Militärmacht vorbereitet haben. 1.640 Male hat dies zum Krieg geführt, und die restlichen Male in den Ruin. Nicht anders ist die latente Funktionen der Militarisierung in den zeitgenössischen Gesellschaften zu beurteilen. Der Golfkrieg hierfür ist eine Bestätigung.

Aufgrund des Gleichgewichts der atomaren Kräfte gab es in Europa vierzig Jahre lang keinen Krieg. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß in der Zwischenzeit der Krieg in Form von militärischer Ausrüstung in die „dritte“ Welt exportiert wurde. Die Länder dort haben sich auf blutige und endlose Konflikte eingelassen. Es bedeutet für sie eine Verschlechterung ihrer Lage, die durch Verschuldung und militärische, finanzielle und kulturelle Abhängigkeit gegenüber den reichen Ländern zustande kommt. Und in ihrem Gefolge wachsen Arbeitslosigkeit und Elend.

Frauen als Belohnung

Andrée Michel und Ginette Lemaitre schrieben am 25. August an Präsident Mitterand: „Man gewinnt den Eindruck, daß es nicht die Sorge um die Freiheit Kuwaits ist, die die militärische Intervention der Vereinigten Staaten und der Europäer bewirkt, sondern egoistische Interessen, aus Furcht man könnte den Zugang zu billigem Öl verlieren. Denn eins wird deutlich, die Länder des Nordens, USA und Europa haben anscheinend das Recht, die Länder der „dritten“ Welt zu berauben, indem sie ihnen zu geringen Preisen ihre Rohstoffe abnehmen.“ Tatsächlich ist es militärische Gewalt, die der internationalen Arbeitsteilung zugrundeliegt. Die Interessen der multinationalen Rüstungskonzerne beschränken sich nicht auf die Profite, die sie aus der Produktion und dem Verkauf der Waffen erhalten, sondern es geht ihnen ebenso um die Reproduktion und Steigerung ihrer Macht in Form von politischen und ökonomischen Privilegien.

Die militärisch-industriellen Komplexe, die den Krieg in ferne Regionen exportieren, vergrößern zugleich die Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen, mit ihnen erreicht das patriarchale Systems eine neue Stufe seiner Entwicklung. Für den Krieg spielt dabei der Konflikt der Generationen eine entscheidende Rolle. Die alten Männer instrumentalisieren die jungen Männer für ihr Konzept militärischer Hierarchien. Die Kriege mobilisieren den „Abraham-Komplex“ und bieten zugleich eine Lösung.

Es ist die Angst der Generation der Väter, die von einer leidenschaftlichen Jugend konfrontiert wird und feststellt, daß sie unfähig ist, ihre jungen Männer zu beschäftigen und zu befriedigen. Daher bietet der Krieg einen Ausweg. Die Instrumentalisierung der jungen Männer findet ihre Ergänzung in der Instrumentalisierung der Frauen. Wie kann man sonst junge Männer in den Tod schicken, wenn man nicht ihrer Männlichkeit schmeichelt und ihnen Frauen „zur Belohnung“ bietet? Deshalb dienen Frauen während eines Krieges männlichem Vergnügen und Sadismus. Sämtliche Kriege der letzten Jahre haben sich über Zwangsprostitution, Vergewaltigung und die Ermordung von Frauen in Kriege gegen Frauen verwandelt. Ein Bericht, der zu Kriegsanfang veröffentlicht wurde, schilderte, wie ein Kontingent ägyptischer Frauen nach Saudi- Arabien geschickt wurde, um „Hausarbeit“ für die amerikanischen GIs zu erledigen. Dies wurde später von der ägyptischen Botschaft dementiert.

So oder so: Es wird der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, daß der Export des Krieges und militärische Besatzung Strategien sind, um Frauen zu zerstören. Amerikanische Studien zum Vietnamkrieg haben gezeigt, daß Prostitution, Vergewaltigung und die Ermordung von Frauen zumindest geduldet wurden. Wir müssen die Tyrannei, die Ungerechtigkeit und den Mißbrauch der Macht bekämpfen, die die Dynamik der militärisch-industriellen Komplexe aufrechterhalten.

Das lähmende Gefühl der Hilflosigkeit überwinden

Die Diskussion mit der europäischen Frauenaktion Scheherazade, die mich mitten im Golfkrieg einlud, um die Angst in die Fähigkeit zum Handeln zu verwandeln, hat mir geholfen, das lähmende Gefühl der Hilflosigkeit zu überwinden. Bei allen Diskussionen zeigte sich für mich der Wunsch nach Glück anstelle von Unglück, auch das Bedürfnis, eine Politik des Alltags zu entwickeln, die die Werte des Lebens und der menschlichen Beziehungen bestätigt. Als Frauen fühlen wir uns fremd gegenüber den üblichen ideologischen und politischen Codes, das erklärt uns auch, warum Frauen sich nicht öfter und stärker in der Politik engagieren. Wie kann man eine Kultur des Friedens definieren und entwickeln, wenn Frauen nur zu einem Prozent gewählt werden? In einer Gesellschaft, wo die Männer die zivilen und militärischen Hierarchien beherrschen? Wir müssen alternative Modelle zu entwickeln und sie den militärischen Entwicklungsmodellen entgegenzusetzen, die der industriellen Gesellschaft zur Selbstverständlichkeiten geworden sind. Wir diskutierten auch die Möglichkeit, eine internationale Friedenskonferenz für den Golf und den Mittleren Osten zu organisieren. Es muß ein dauerhafter Frieden entstehen, der eine Lösung für alle Probleme der Region vorsieht. Das Patriarchat ist kein unabwendbares Schicksal, und wir können Konzepte ausarbeiten, die für die Menschheit weniger blutig wären.

Übersetzung: G. Koch und R. Jacobs

Nadia Hakimi ist Mitbegründerin der oppositionellen Frauenorganisation „Assocation tunesienne des Femmes Democrates“ und Gründerin des Frauenverlags Chama