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Zur Rede gestellt und zur Sprache gebracht

■ Frauen, alzuoft schweigende Komplizinnen männlicher Rede. Scheherazade und Dinarzade aber, Namenspatroninnen der Frauenaktion gegen den Krieg, beherrschten die weibliche Redekunst. Gisela Breitling schrieb an die fernen Vorgängerinnen einen Liebesbrief.

Sehr geehrte Frau Scheherazade,

sehr geehrte Frau Dinarzade,

erlauben Sie mir, Sie anzusprechen. Diese Anrede, sehr verehrte Schwestern, hinweg über die Ferne der Jahrhunderte und die Ferne der Kultur, deren Abglanz bis zu uns reicht, gestattet kein vertrautes, vertrauliches Du, wie wir es unter uns gewohnt sind. Wie wir es uns angewöhnt haben in der Hoffnung, uns damit nahe zu sein, und wodurch wir unsere Unterschiede, unsere Verschiedenheiten und unseren Streit, unsere verschiedenen Wünsche und Hoffnungen wegwischen und verwischen, und womit wir uns auch allzuoft den Respekt versagen, den wir doch so nötig haben.

Sie, sehr geehrte Frau Scheherazade, und Sie, sehr geehrte Frau Dinarzade, sollen nicht durch solche unziemliche Vertraulichkeit der Anrede in unsere Gemeinschaft hineingezogen werden, die die Ihre wohl nicht sein kann — ist sie doch auch kaum die unsere, wenn wir genauer hinschauen.

Wissen wir von uns schon wenig genug — etwa weil wir glauben, genug voneinander zu wissen, oder weil wir meinen, es genüge zu wissen, daß wir Frauen sind und uns fremd fühlen und bedroht in einer Welt der Männer, die nicht die unsere ist, oder weil wir uns untereinander Kenntnisse und Wissen nicht zutrauen, da wir ja, bestimmender und tiefer als wir wahrhaben wollen, gelernt haben, daß das Wissen und die Kenntnisse von Frauen keiner besonderen Mühe und Nachfrage wert seien —, wissen wir von unsereiner schon wenig genug, so wissen wir von Ihnen kaum mehr als Ihre Namen.

Sie sind eingewoben in ein kunstvolles Gebilde aus Geschichten, von denen wir ein Echo vernommen haben in unserer Kindheit, als wir einige dieser Geschichten in kindgemäß zurechtgestutzter Fassung gelesen hatten oder vorgelesen bekamen. Daher sind Sie, verehrte Frauen, nicht nur in die Ferne anderer Zeiten und einer anderen Kultur entrückt, sondern auch in die Ferne unserer Kindheit, wo Ihre Namen in unangemessener Nähe zu anderen Namen gerückt wurden — Aschenbrödel, Schneewittchen, Schneeweißchen und Rosenrot —, diesen Griseldis-Figuren, diesen Idiotinnen an Gefühl und Verstand: richtungsweisende Disziplinierungsinstrumente, die uns Unterwürfigkeit und Schweigen als weibliche Kardinaltugenden angedient haben.

Daher schweigen wir im Ernstfall. Im Ernstfall verschlägt es uns die Sprache. Im Ernstfall wissen wir nicht, was wir sagen sollen, weil wir dann nicht wissen, ob wir etwas sagen sollen oder dürfen, denn im Ernstfall werden wir nicht gefragt, nie und nirgendwo.

Daher führen wir im Ernstfall keine klugen Reden. Uns bleiben dann kaum mehr als so elementare Ausdrucksmittel wie Weinen oder Schreien. Aber wann hätten Weinen und Schreien oder unterwürfiges oder entsetztes Schweigen je einem Tyrannen Einhalt geboten?

Sie, verehrte Frau Scheherazade, haben nicht geschrien und nicht geweint. Und sie haben nicht geschwiegen, wie Desdemona und die vielen schweigsamen Frauen, die vor uns gelebt haben und deren Rede wir so sehr vermissen. Sie haben sich um Kopf und Kragen geredet, denn sie waren zum Tod verurteilt, bevor sie überhaupt den Mund öffneten. Das Risiko Ihrer Rede war — anders als bei uns heute, die wir schweigend alles riskieren — nicht größer als das Risiko Ihres Schweigens.

Gewiß, Sie waren bewandert in allen Künsten und Wissenschaften. Sie waren eine Meisterin der Rede. Sie hatten viel zu sagen. Und sie haben diese in unserer Kultur so unweiblichen Fähigkeiten mit Kaltblütigkeit und klugem Kalkül eingesetzt. Sie haben nicht den Versuch gemacht, mit sogenannten weiblichen Waffen um Ihr Leben zu kämpfen.

Das soll nicht heißen, daß Schreien und Weinen Äußerungsformen sind, zu denen wir nicht etwa alles Recht und Ursache genug hätten, aber haben wir davon in unserer Geschichte nicht einen so ausschließlichen Gebrauch gemacht — zumeist vergeblich —, daß diese Gefühlsausbrüche ihre Wirkung, falls sie die je hatten, inzwischen gänzlich eingebüßt haben? Gefühl ist die Welt ja von uns gewohnt. Sie rechnet damit, denn wenn wir es nicht mehr sind, die Gefühle zeigen, wer sollte es dann tun?

Die Welt rechnet nicht mit kluger, kunstvoller Rede aus weiblichem Mund. Die Welt — die Welt der Männer, sie ist die ihre und nicht die unsere —, ließe sie sich verblüffen durch solche weibliche Rede, so daß sie einen Moment lang innehielte im Lärm und Gewerkel ihrer Maschinen und Geschütze?

Aber wenn die Welt schon nicht hören will und nicht zu verblüffen ist und nicht innehält — so sind wir es doch, die innehalten und aufhorchen könnten in der Fremde, die dann so fremd nicht mehr wäre und so stumm und dunkel, wenn irgendwo eine Stimme spricht aus dem Lager der Stummen. Ex Oriente Lux, sehr verehrte Frau Scheherazade.

Sie haben kühlen Kopf bewahrt und Ihren Verstand beisammengehabt in der größten Bedrohung und Ihre Erfindungsfähigkeit notwendigerweise gebraucht — was hätte die Not sonst wenden können? Sie hatten kein anderes Machtmittel als Ihre Redekunst, und Sie besaßen die Kühnheit, Kunst zu machen in einer Situation, in der gerade dies (besonders für uns Heutige) als das Absurdeste und Unmöglichste erscheinen muß. Sie haben es gewagt, ohne zu wissen, ob Sie damit Erfolg haben würden.

Und wir (aus der Distanz der Jahrhunderte) können sagen, daß Sie auch dann anders gestorben wären als die anderen vor Ihnen, wenn Sie keinen Erfolg gehabt hätten. Denn mit Ihrer Rede waren Sie es, die das Gesetz des Handelns bestimmte — Sie haben es der Tyrannei aus der Hand genommen.

Sie haben den Mann, der jedes Recht, allererst das Rederecht für sich beansprucht, zum Zuhörer gemacht. Selbst wenn Sie Ihren Mörder-Gatten nicht hätten umstimmen können, wären Sie anders gestorben, weil Sie ihn mit Ihrer eigenmächtigen Rede in seine Schranken gewiesen haben.

Verehrte Frau Scheherazade, 's ist leider Krieg, und wir begehren, nicht schuld daran zu sein, wir, die Frauen. In unserem Jahrhundert, Frau Scheherazade, ist immer Krieg gewesen, Weltkriege, Kalter Krieg, heißer Krieg, Guerillakrieg, Kleinkrieg, Geschlechterkrieg.

Der Krieg kriegt nie genug. Ist ein Krieg verloren — und jeder Krieg wird verloren —, so wird ein neuer gefunden. Der Krieg, sagt man, bricht aus, und dann wird er geführt. Aber wie kann er geführt werden, wenn er ausgebrochen ist? Der Krieg, jeder Krieg, wird erst geplant und dann begangen. Der Lärm der Kriege dringt ins Haus. Der dröhnt aus denjenigen elektronischen Medien, deren Konstruktion ihn so erst möglich macht.

Der Krieg ist der Vater aller Dinge — der Vater und die Dinge, sie sind ja dann wohl auch danach. Der Krieg ist das Übel, zu dessen Abschaffung man ihn zu führen behauptet. Wenn er die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so muß die auch dementsprechend sein.

Manchmal wird der Krieg erklärt. Aber soviel messerscharfe Logik für Kriegserklärungen auch aufgewendet wird, man hat ihn uns doch nie wirklich erklären können.

Tatsächlich, es ist der Krieg, der der Erklärung bedarf, nicht der Friede. Der Friede, so meinen wir immer noch, verstehe sich von selbst.

Unsere Sprachlosigkeit hat das Verständnis für unsere Rede beengt. Schweigend können wir nicht erkennen, daß es nichts gibt, was sich von selbst versteht.

Wie hätten Sie geredet, Frau Scheherazade, angesichts dieses Kriegs — dieses Wahnsinns mit Methode? Hätte es Ihnen die Sprache verschlagen, wäre Ihnen Herz und Mut gesunken und Ihr Verstand stillgestanden?

Sie wissen, man redet nicht mit uns, und man fragt uns nicht über den Krieg, man rechnet nicht einmal mit uns. Frauen zählen nicht und werden nicht gezählt in den Städten und Flüchtlingslagern. Aber Frauen und Kinder sind in der Mehrheit unter den Toten, Verwundeten und Flüchtlingen, und sie haben keinen Status, nicht einmal den von Kriegsgefangenen, Asylanten, Flüchtlingen.

Die Bewunderung, Frau Scheherazade, die Ihre kusntvolle Rede verdient, verdient auch ihre kluge Taktik, sich einer Komplizin zu versichern — Ihrer Schwester.

Sie, Frau Dinarzade, haben Ihre Schwester zur Rede gestellt, Sie haben ihr die Rede abverlangt. Sie haben ihr geholfen beim Verfertigen der Gedanken, Sie haben ihr das Sprechen zugemutet mit demselben Mut, den Ihre Schwester mit ihrer Rede bewies. Wenn wir nicht gefragt werden von den Männern, so müssen wir es selber sein, die einander befragen.

(Wir wissen sher wohl, daß es nicht leicht ist, uns einander zur Rede zu stellen.)

Durch Ihr Beispiel erfahren wir, daß unsere Klage über unser Stummsein uns selber trifft. Wir haben in der langen Geschichte, die uns von Ihnen beiden trennt unser Rederecht von Männern eingefordert und allzuoft geschwiegen, wenn es uns verweigert wurde. Wir haben uns in der Untugend der Schweigsamkeit geübt, wir haben sie uns zur Tugend gemacht und uns selber damit zu Komplizinnen männlicher Rede. Mit unserem Schweigen haben wir dieser Rede, diesem Gerede Raum gegeben und mit dem Raum auch das Recht — wir haben dem Rederecht der Männer Genüge getan.

Daher war weibliche Rede unerhört auch durch und für uns. Deshalb wollen wir uns von Ihnen, Frau Dinarzade, zur Rede stellen lassen, damit unser Schweigen nicht das Schweigen über so viele Verbrechen vertieft, damit nicht auch wir sie verschweigen.

Sie haben nachgefragt und zugehört, Frau Dinarzade — das haben auch wir gelernt, aber unvollkommen, denn wir haben hauptsächlich gelernt, Männer zu fragen, sie zur Rede zu ermuntern und ihnen zuzuhören, und haben uns dann beklagt, daß uns niemand fragt und zuhört.

Durch Sie, verehrte Frau Dinarzade, lernen wir, daß wir, hauptsächlich den herrschenden Sitten und den Herrschenden gehorchend, in die falsche Richtung gefragt und gehorcht haben. Und wenn es uns schwierig erscheint, unseren Verstand zu brauchen zu kluger Rede, so ist es — wenn „Waffen sprechen“ und uns die Sprache des Kriegs die Köpfe verwirrt — allzuoft viel schwerer, zu tun, was Sie, Frau Dinarzade, getan haben. Denn nachzufragen wie Sie, bedeutet, sich auch anzuhören, was wir nicht unbedingt hören wollen.

Wir sind ja, anders als Sie beide, nicht von vornherein einig — wir müssen durch gegenseitige Aufforderung zur Rede erst erkennen lernen, was uns trennt. Im Schweigen und im Stummsein sind wir nur scheinbar vereint. Wenn wir uns zur Rede stellen, trennen wir uns von dieser oft bequemen Illusion der Schwesterlichkeit.

Zur Rede gestellt und zur Sprache gebracht, zu Wort und mit dem Wort zu Recht gekommen, sagen wir einander, wer und was wir sind, und geben Raum nicht nur unserem Kummer, den wir noch am ehesten voneinander kennen, sondern auch der kunstvollen Rede.

Auf diese Weise einig geworden — mit allem Respekt vor unseren Unterschieden —, gelingt uns vielleicht jetzt noch einmal und ist noch einmal notwendig, was Ihnen, Frau Scheherazade und Frau Dinarzade, vor Jahrhunderten gelungen ist: die Männer zu unseren Zuhörern zu machen und so die Verhältnisse umzukehren. Dann wären wir nicht mehr die schweigsamen Komplizinnen ihrer guten und bösen Taten, sondern sie die zuhörenden Komplizen unserer notwendigen Rede.

Seien Sie gegrüßt

Hochachtungsvoll

Die Autorin ist bildende Künstlerin und lebt in Berlin.

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