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Gnadenlose Körper

■ »Moskauer Lichter«: Eine Revue mit Clowns, Musik und Tanz im Quartier

Zwei Clowns möchten baden gehen. Jedenfalls machen sie die entsprechenden Ruderbewegungen mit den Armen und tragen auch Schwimmflossen an den Füßen, ziehen es aber vor, ihre eleganten Fräcke nicht zu benetzen und erschöpfen sich in einem grandiosen Flossenschuhplattler. Später sind sie zu viert auf einer Bank und sitzen sich gegenseitig, voller Genuß und tieferer Bosheit, die Hüte platt. Gemeinsam ist ihnen nur die unvermeidliche Clownsnase, ansonsten ist sich jeder von ihnen sein eigener Tölpel, ausgesetzt in eine Welt, in der jeder noch so harmlose Gegenstand unversehens zum feindseligen Objekt werden kann. Und hier sind sie einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Was schließlich wären wir, wenn wir niemanden hätten, ihn zu treten, zu foppen, zu bespucken und beständig zu demütigen (und hierin ist ihre Phantasie und Schöpferkraft unermüdlich!), oder ihn zum lebendigen Staubsauger zu machen, indem man ihm Bauch und Maul mit Papier verstopft. Das ist nicht weiter schlimm, denn Clowns sprechen in der Regel wenig. Der kleinste von ihnen möchte trotzdem eine große Rede halten, allerdings hängt ihm das Mikrofon zwei Meter über der Nase, und der Clown kann sich seine eigene Stimme nicht leihen. Außerdem hält er das Blatt verkehrt herum, und auch die einem Zuschauer entwendete Brille macht den Text nicht klarer. Aber jeder von ihnen möchte der schönste sein, der dickste und der größte, kurz: der König, und so beginnt der Kampf um Kommando und Zepter (eine Klobürste).

Die Rollen im Clownsquartett Mimikritschi (aus der Kiewer Zirkusschule) sind klar verteilt. In stilisierter Form sind die traditionellen Prototypen des klassischen Clownsgenres vertreten: der arrogante Besserwisser (der schön frisierte Weißclown mit ausgepolsterter Schulterpartie), der Dumme August (der ewige Schuhabtreter sämtlicher Clownsentrees) und die Handlanger des Mächtigen (des »Weißen«), die nebenbei klammheimlich auf ihre Kosten zu kommen versuchen, wobei ihre Freude meistens von kurzer Dauer ist, da ihnen genommen wird, was sie schlau erworben zu haben glauben. Was die Kiewer Clownstruppe dabei so einzigartig macht, ist ihre eigenwillige Variation altbekannter und varietébewährter Clownsnummern, die wenig mit dem sattsam bekannten Herumtreten, Stolpern und Wasserverspritzen aus langweiligen Zirkusauftritten zu tun haben. Die meisten Nummern werden zu einem überraschenden und fulminanten Ende geführt, das wiederum nahtlos als Einstieg für den folgenden Auftritt genutzt werden kann. Atemberaubend ist vor allem die Kondition dieser vier Hochleistungsclowns, die zwei Stunden hintereinander tanzen, steppen, turnen, prügeln und akrobatisieren können, ohne dabei in nennenswerten Schweiß zu geraten.

Problematisch wird allerdings die Verquickung dieses hinreißenden Programms mit der Sing-, Tanz und Turngruppe Bim-Bom, die sich neben der komischen Eleganz der Clowns eher steif und platt ausnimmt, gerade deshalb, weil ihre Darbietungen trotz der im Programm angekündigten »Parodie des Lebens ohne große Worte« eigenartig hohl und aussagelos bleiben. Schlecht kostümierte Revuegirls und bemüht laszive knackige Sowjetjungs, die zu einer Mischung aus amerikanischer Diskomusik und russischer Folklore die entmündigenden Kleingeister Lenins und Trotzkis niederzutanzen angetreten sind, haben einige Mühe, gegen die virtuosen Clowns anzutreten. Die haben nämlich solche Plattitüden in ihrem Programm nicht nötig und werden deshalb unfreiwillig zu genialen Parodisten ihres Nebenprogramms. Denn parodiert wird das sogenannte »Leben« nicht durch gesteigerten Animationswillen, sondern durch die vollkommene Beherrschung des zu parodierenden Gegenstandes, das heißt, da, wo Bim-Bom lediglich sportiv beeindruckt, überzeugen die Clowns durch hochprofessionelle Tölpelhaftigkeit: Wer beim Steppen überzeugend auf die Fresse fliegen will, muß schließlich seine Füße doppelt so gut zu setzen wissen, wie der Stepper selbst.

Da aber auch die Bim-Boms mit allerlei phantasievollen inszenatorischen Revueeinfällen aufwarten, lassen sich die Sowjettarzans im Programm durchaus verkraften. Für Freunde dieses Genres also ein wunderbarer Abend, zumal bei entsprechendem Applaus mit exzessiven Zugaben der Clowns zu rechnen ist. felicitas hoppe

Moskauer Lichter , noch bis zum 27. März Dienstag bis Samstag, jeweils um 20 Uhr, im Quartier Latin.

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