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DEBATTEWar Adolf Hitler Araber?

■ Über die Sprache der Experten, wenn sie vor weißen Flecken stehen

Seit dem Kriegsausbruch am Golf zeigen sie sich fast täglich auf dem Bildschirm. Die Experten. Mit schwerer, bedeutungsvoller Miene vor der Landkarte der Region sitzend, deuten sie die Mysterien dieses unergründlichen Konflikts, spannten täglich von neuem den Schleier zwischen „Orient“ und „Okzident“. Nur sie kennen die Schlitze, von denen aus der andere — der so anders ist, daß wir ihn mit unserem rationalen Denksystem nicht erfassen können — erschaut und begriffen werden kann. Schon bildet sich hinter ihnen die Schlange all derer, die auch einmal einen Blick durch diesen Schlitz werfen möchten oder dies bereits getan haben: Reisende, Abenteurer, Enthusiasten, Geschäftemacher, Weltpolitiker, fast alle männlichen Geschlechts. Vereint in der einen, unverwechselbaren Perspektive auf das andere, Undurchdringliche. Was da hinter dem Experten so gewöhnlich wie eine Landkarte erscheint, mit Städten, Städtenamen, Regionen und Ländergrenzen, beherbergt eigentlich etwas ganz anderes als irgendeine Weltgegend. Es ist ein Magnetfeld für Fiktionen. Ein weißer Fleck, bewohnt von Wesen, die erst durch die Perspektive des Experten wahrgenommen werden.

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichen ermöglicht es dem Experten und durch ihn uns allen — in diesem Sinne erfüllt er die Funktion eines Schamanen —, einfach zurückzuschalten: Todesurteile erscheinen plausibel, Kriege durchführbar, Despotie und Tyrannei quasi als Naturgesetz. Aufklärung? Humanismus? Ja, unser Experte weiß genau, wie relativ diese Begriffe sind. Er weiß, daß die anderen solche Errungenschaften weder anstreben noch verdienen. Für die Anstrengungen von naiven Westlern, den ewig archaischen Orient zu bekehren, hat er nur ein Lächeln übrig. Ob sich ein erneuter Versuch mit einem modernisierten Kolonialismus lohnen könnte — das wäre einmal eine gute Publikumsfrage.

Der Experte muß ständig übersetzen. Er tut es, indem er sich distanziert. Je weiter er von seinem Objekt entfernt ist, um so besser versteht er es. Die Distanz macht es auch möglich, alle Elemente, die ihn bei sich an den anderen erinnern könnten, zu verdrängen. Durch die Dämonisierung des „anderen“, das auch immer gewalttätig ist, wird Gewalt exotisiert, eigene Gewaltpotentiale werden verdrängt. Ein aufgeklärter Europäer kann Saddam Hussein natürlich nicht sein. Doch war Hitler ein Araber?

Schon Karl May und Goethe wußten am besten, wer Kurden und Perser sind. Wußten sie auch ähnlich gut über sich selbst bescheid? Der Experte aber meint, den anderen besser zu kennen als sich selbst. Und um nicht gänzlich in ihm aufzugehen, braucht er die Distanz. „Ich verstehe seine Sprache“, sagt er, „aber nur dann, wenn sie ganz anders ist als meine eigene.“ Mit den schwertschwingenden, den Tod beschwörenden Fundamentalisten tut er sich am leichtesten, nicht so sehr mit dem einzelnen, aber mit der Masse. Sie spricht die Sprache, die ihm, ohne differenzieren zu müssen, am eingängigsten ist. Es ist nicht seine eigene Sprache, sondern die seines Alter ego. Von dort aus kann er seine Ketten legen, seine Abstammungsbäume pflanzen, Charaktere und Typologien malen. Der Alte vom Berge und Khomeini, Saddam Hussein und Saladin, sie alle sind unmittelbar verwandt.

Und der Bürokrat aus Ankara? Der bourgeoise Iraner im Pariser Exil, der ein stundenlanges Gespräch über französischen Wein führen kann, ohne daß das Wort auf das Gebot des Propheten kommt? Sie alle kommen in der Perspektive des Experten nicht vor, folglich spricht er auch nicht über sie. Warum versteht er ihre Sprache nicht, die doch seine eigene ist? Vielleicht weil sie seine eigene ist? Vertreter solcher Schichten ist in seinen Augen bestenfalls die verwestlichte Elite, ohne Bezug zum eigenen Volk, entfremdet und zum Scheitern verurteilt. Ist genau das aber nicht die Meinung von religiösen Fanatikern, die Andersdenkende ausmerzen wollen?

Der Experte beherrscht die Sprache seines „anderen“, die des Fundamentalisten, so perfekt, daß sie oft genug mit seiner eigenen identisch ist, ohne daß er sich dessen bewußt sein muß. Sein Stuhl vor den Landkarten mysteriöser Gegenden wackelt nicht, solange seine Perspektive auf den anderen ihn nicht zu sich selbst führt und der „andere“ ihn hinter dem Schlitz des Schleiers nicht bemerkt, seinen „anderen“ in ihm nicht entdeckt. Zafer Senocak

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