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Simson-Erben verzichten auf Suhler Werk

■ In den USA lebende jüdische Erben wollen sich nicht um das traditionsreiche Suhler Unternehmen streiten/ Kurzarbeit seit Februar/ Treuhand plant die Aufteilung des Großunternehmens

Suhl. Die in den USA lebenden Erben der Begründer des Thüringer Simson-Fahrzeugwerkes haben auf die Rückführung ihres Eigentums verzichtet. Begründet wird der Verzicht mit dem Wunsch, daß „Arbeitsplätze in Suhl erhalten und geschaffen werden“. In einem der Südthüringer Tageszeitung „Freies Wort“ zugeleiteten Brief an die Berliner Treuhandanstalt teilen die Simson- Nachkommen ihre Entscheidung mit. Zugleich verwahren sie sich gegen die Darstellung, daß Uneinigkeit unter den erbberechtigten Familien über das Schicksal des einst renommierten und nun durch enormen Absatzrückgang in Zahlungsnot geratenen Betriebes der Grund für den — inzwischen zurückgezogenen — Konkursantrag gewesen sei.

Bislang war die Simson Fahrzeug GmbH mit 3.500 Beschäftigten der größte Arbeitgeber in der 55.000 Einwohner zählenden Stadt. Doch droht die von den Gebrüdern Simson vor 135 Jahren begonnenen Werkstradition zu Ende zu gehen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die aus einem Dorf bei Suhl stammende Händlerfamilie den „Heinrichser Stahlhammer“ erworben und mit der Produktion von Gewehrläufen und anderen Waffenteilen Erfolg. Im Laufe der Zeit wurde die Produktion geändert. So wurden die ersten luftbereiften Fahrräder Deutschlands in Suhl hergestellt. Ein Anfang dieses Jahrhunderts gebauter zweisitziger Pkw war in ganz Europa ein Erfolg.

Dem ökonomischen Aufschwung setzten die Nationalsozialisten mit der Enteignung der jüdischen Familie ein Ende. Die Simsons fanden in den USA eine neue Heimat. Nach den Jahren der Kriegsproduktion wurden Ende der 40er Jahre in Suhl wieder Zweiräder hergestellt. Die Awo, eine 250-Kubikzentimeter- Maschine mit Viertaktmotor, hat noch heute ihre Liebhaber. 1955 begann die Produktion von Kleinkrafträdern, von denen fünf Millionen Stück gebaut wurden. Allerdings stehen jährlichen Produktionszahlen von 180.000 Mitte der 80er Jahre heute ganze 16.000 gegenüber. Etwa das Doppelte wäre für den Fortbestand des Werkes das Minimum.

Seit Mitte Februar sind die Beschäftigten auf Kurzarbeit gesetzt und eine bayerische Unternehmensberaterfirma erarbeitet im Auftrag der Treuhand, die im Dezember 1990 mit der Bewilligung eines weiteren Kredites die Rücknahme des Konkursantrages bewirkt hatte, ein Konzept zur Aufteilung des Großbetriebes in möglicherweise überlebensfähige Einzelunternehmen. Welche Rolle der Fahrzeugbau spielen wird, ist noch unklar. Die Geschäftsführung, die unter anderem mit einer dreirädrigen Variante des Simson-Rollers, geeignet für Handwerk und Gewerbe, neue Absatzmöglichkeiten erschließen will, rechnet Mitte März mit der endgültingen Entscheidung zur Zukunft des Werkes. dpa

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