: Drei Fragen an den Dokumentarfilmer Peter Krieg
■ Das Spiel im Kino
„Suspicious Minds — Die Ordnung des Chaos“ heißt der Film von Peter Krieg, in dem der Dokumentarfilmer erstmals das von ihm entwickelte „Electronic Video Interactive System“ (ELVIS) ausprobiert. Am Sonntag abend konnten in der Bremer Angestelltenkammer 50 ZuschauerInnen mit einem Knöpfchen in der Hand per Mehrheitsentscheidung an 16 Stellen des Films „Fußnoten“ einschieben. Je nach Zuschauer-Entscheidung dauert Kriegs Film damit zwischen 55 und 100 Minuten.
taz: Ist es nicht eine narzißtische Kränkung für den Dokumentarfilmer, wenn sein Film nicht mehr die Mehrheitsmeinung ändern, sondern die Mehrheitsmeinung seinen Film ändern kann?
Peter Krieg: Das ist eine narzißtische Kränkung nur für den Dokumentarfilmer, der glaubt, daß das, was er rüberbringen will, auch objektiv, unverändert ankommen kann. Ich glaube es war Kluge, der schon vor vielen Jahren den Spruch geprägt hat: Der Film entsteht im Kopf des Zuschauers. Und eine der Thesen meines Films ist, daß die Welt im Kopf des Beobachters entsteht. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu sagen: Dann laß die Zuschauer mal selber teilnehmen an dieser Steuerung.
Andererseits entsteht dabei aber ein ganz anderes Kinoerlebnis. Es entstehen plötzlich ganz starke Seitenbezüge zu den Nachbarn und zu den anderen Leuten im Kino. Denn ich brauche die Mitwirkung der anderen.
Du stellst Dir vor, daß während des Films im Kino Kommunikation entsteht?
Es entsteht im Kino ja immer eine nonverbale Kommunikation. Das macht das Kino gegenüber dem Fernsehen auch so attraktiv. Aber diese Kommunikation wird hier viel stärker. Wenn die Leute das Knöpfchen in der Hand haben, wird es sehr viel spielerischer. Es bilden sich Parteien. Und es entstehen schon bei 16 „Fußnoten“ über 65.000 mögliche Filme. Hoffentlich werde ich nie gezwungen sein, die alle anzusehen.
Ist das Knöpfchendrücken nur ein Trick, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer für sein Material zu steigern oder steckt dahinter die Absicht, Kino als soziales Erlebnis zu arrangieren?
Ich halte das mehr für ein Spiel. Aber alle Spiele haben natürlich auch ihre pädagogische Wirkung. Ich bin gar nicht der Meinung, daß ich jetzt in Zukunft nur noch für dieses System Filme machen will. Es ist jetzt einfach erstmal ein Versuch. Ob dabei ein Lerneffekt entsteht, ist für mich relativ irrelevant. Du fragst mich ja auch nicht, ob der normale Dokumentarfilm eine pädagogische Übung ist. Er ist es immer, und er ist es auch immer nicht. Fragen: ase
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