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Das Geräusch von Mädchen

Die schwedische Performancegruppe „Remote Control“  ■ Von Arnd Wesemann

Remote Control“ spielt Fast Forward.

Was für ein Titel. Wir ahnen Kassettenrecorder-Ästhetik. Aber: vorwärts, rückwärts — seitwärts, Step. Es geht um Tanz. Nur eine Andeutung davon. Die Gruppe „Remote Control“ ist Larry Steinbachek, Komponist und Kopf der dreiköpfigen Band „Bronski Beat“. Und Michael Laub, einer der wenigen Performance-Regisseure in Stockholm. Sie machen Musik und Theater mit dem Ergebnis — minimalistischen Tanztheaters. Eine Kombination, die öfter so ausgeht: Musik und Theater wird Tanztheater. Vorbei, als nur ein Chopin auf den Plattenteller gelegt wurde, und Frau Bausch dazu die Stöckelschuhe wetzen ließ. Michael Laub sagt: „For the sound of girls I put carpets unter the highheels.“ Auf leisenSohlen startete die Deutschlandpremiere der Schweden, einer der wenigen Gruppen, die Pina Bausch nach ihrem Gastspiel in Stockholm imitierten. Um sie zu überholen? Schwerlich: Stockholm ist eine Insel. Europa von da ein Kontinent. „Theater in Schweden ist“, sagt Laub, „als würde ein Ingmar- Bergman-Film nie aufhören.“ Ibsen, Strindberg, Shakespeare, Ibsen, Strindberg ... Der Spielplan ist ganz einfach. Deshalb produzieren Laub und Steinbachek am Modernen Museum in Stockholm. In Kunstnähe.

Was machen sie? Normalerweise sitzen sie vor dem Fernseher oder im Kino. Godard geht ihnen nahe. Kriminalstories und Gerichtsreportagen kombinieren sie mit Pornostories („so to say“) und ihren Tagebüchern. Kunst ist immer persönlich. Weite Teile der Handlung stammen aus dem Tagebuch von Daniel Halfen, einem Erzähler auf dem Barhocker, der immer neu auf die kahle Bühne zurückkehrt. Er scheint einem Kaurismäki-Film entsprungen: depressiv, aber aufrecht. Wenn nicht er, erzählt Jeniffer Baerselman. Zum Beispiel von einer Frau, die kurz mal außer sich war und einen Mann erdrosselte. Einen von vielen. Das geht ganz episch. Jennifer erzählt, wie sich alles zutrug, wie die Frau den Mann erwürgte. Neben ihr auf dem Boden dreht eine hochgewachsene Frau dem Mann die Luft ab: Charlotte Engelkes mit feinem Gesicht und dem ganzen verrückten Stolz einer Einsamen. Sie leugnet nicht die körperliche Anstrengung zu morden. Später springt sie auf: „I feel so free“, und schwenkt an anderer Stelle ihre Arme wie Flügel. Steif. Die langen Arme zittern und vibrieren. Wie Tragflächen. Dann tritt sie, die an die junge Edith Clever erinnern möchte (nur im Ansatz), noch einmal an die Rampe der leeren Bühne und stößt einen Schrei aus, so spitz und kurz, ganz hoch, und sieht dabei aus wie die Figur auf Edvard Munchs berühmtem Bild Der Schrei.

Dazwischen tänzeln paarweise lächelnd Frauen, manchmal ist die Bühne voll von Frauen. Und voll mit einer vor allen: die alte Gun Öhman, die Großmutter, die um den Toten stakt, der Enkelin zur Flucht rät und dabei — das fällt einfach aus dem Rahmen — sich benimmt wie eine Karikatur auf ein Ibsen-Stück. Sie kommt aus einer anderen Kulisse. Sie spielt die Lage so, wie sie ist.

Naturalistisch-komisch. Die Jugend um sie herum nimmt nichts wahr, verharrt im Tänzerkörper. Ein zauberhafter Kontrast.

„The sound of girls“: Das Wort fällt in der Mitte der Aufführung. Was ist das: „Das Geräusch von Mädchen“? Schnalzen, zischeln, verhalten, hohe Töne von sich geben, eher nebenbei. Sie versuchen gleichzeitig zu weinen, zu lachen. Raffen ihren Rock übers rechte Bein und halten ihn am Strumpfband fest. Wortlos. Sie tänzeln federnd, statt zu tanzen: geräuschlos. Sie fallen in Ohnmacht: um die Männer zu täuschen, ohne einen Pieps. Daniel Halfens Bemerkung, Frauen seien Düsenjäger, kommen, gehen und machen dazwischen viel Lärm, trifft sie nicht. Was da überhaupt noch Geräusche macht, sind Musik und die Erzählung kleinster Erinnerungen und Zeitungsfetzen.

Das ist nicht immer endgültig komponiert, wenigstens zum Ende hin nicht. Da geht's zukünftig noch weiter. Aber es ist was da. Die einzelnen kleinen Szenen sind von bestechender Klarheit, mal einsichtig, mal auch überflüssig. Man denkt in der Klarheit an den Minimalismus der flämischen Theateravantgarde: Lauwers, Fabre, Keersmaeker. Schließlich ist Michael Laub Belgier. Die künstlerische Verwandtschaft hat er spät bemerkt. Jetzt reist er durch Europa, der als Videoartist begann und den ganzen Multimedia- Kram über Bord warf. Warum? Die elektronisch gesteuerten Musik- und Lightshows können nie grellaut genug dröhnen. Doch plötzlich fällt live ein Mädchen in die höchsten Töne, der Schrei, so hoch, daß man ihn kaum noch hört. Im Unhörbaren beginnt dann Neues: Tanz auf leisen Pfoten.

Remote Control: The Sound of Girls. Premiere war im Theater am Turm, Frankfurt. Weitere Aufführungen in Bergen (Norwegen), BIT, vom 10. bis 13. April; in Amsterdam, Mickery, vom 15. bis 17. Mai; in Brüssel, Kaaitheater, 14. und 15. Juni; sowie in Wien zu den Festwochen.

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