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Ariadne im Orchestergraben

Eröffnung der 7. Händel-Festspiele in Karlsruhe mit „Arianna in Creta“  ■ Von Frieder Reininghaus

Festspiele dürfen und müssen wohl beanspruchen, den durch sie hervorgehobenen Themen, dem Gegenstand der Verehrung künstlerisch umfassend gerecht zu werden. In jedem Fall ist von der exemplarischen Wirkung eines Festivals auszugehen und an solchem Maßstab die Kritik anzulegen. Und wenn nun einmal dem Barockopernproduzenten Georg Friedrich Händel die gesteigerte Aufmerksamkeit gilt, dann erwarten wir doch, daß diese seit 250 Jahren leicht angestaubte Ware gut aufpoliert und in der Hauptsache, ihren gebetsmühlenartig wiederkehrenden Formeln und Koloraturen, wenigstens korrekt angeboten wird.

Arianna in Creta — eine Oper aus dem Jahr 1733 — entstand unter verschärftem Konkurrenzdruck. Händel benutzte ein Libretto von Pietro Pariatis, das er einige Jahre zuvor in Rom kennengelernt hatte, um eine wahre opera italiana zu schreiben und dem Konkurrenzunternehmen Poporas in der englischen Hauptstadt den Wind aus den Segeln zu nehmen. Meister Händel komponierte eine rechte Kastraten-Oper — die Partien der beiden attischen Helden in diesem Musik-Drama stehen im Sopran-Schlüssel.

An Kastraten besteht freilich heute erheblicher Mangel. Das trübt alle Realisierungskonzepte solcher Opern, die auf historische Maschen zielen. Da virile Sopranistinnen dem Ideal des Primo uomo in der Oper des 18.Jahrhunderts in aller Regel nicht sehr nahe kommen, behilft man sich mit den falsettierenden Contra-Tenören.

Rénald Laban verkörperte in Karlsruhe einen Athener Aristokraten der feinsinnigen und stimmschwachen Sorte, keinen antiken Feldherrn Theseus, dem das siegreiche Handgemenge mit dem Minotaurus im Labyrinth zuzutrauen wäre. Dieser zartblütige Oberschicht- Jüngling in Admirals-Ausgehuniform trifft mit dem Säbel und den Stimmbändern eher Luftlöcher als lohnende Ziele.

Etwas konsistenter dagegen der Gesang seines Kollegen Angelos Fotiadis, der über eine kräftige Mittellage verfügt. Für ihn und von ihm sind allerdings die Spitzenpassagen unzumutbar.

So durfte man bei der Arianna- Premiere in Karlsruhe immer wieder aufatmen, wenn eine der Protagonistinnen mit einer Arie an der Reihe war, Clara O'Brien als das mutmaßlich erste Opfer des minoischen Monsters oder Sharon Spinelli in der Titelpartie der kretischen Königstochter, die ihrem Liebsten Theseus die strategischen Schwächen von Minotaurus und dem Feldherrn Tauride verrät.

Der Bühnenbildner Heinz Balthes versuchte sich in Karlsruhe auch als Regisseur, seine Absicht, so wird bekanntgegeben, sei gewesen, einen „zeitlich neutralen Rahmen zu schaffen“. Darum hat er sich durch ein bedenkenloses Gemisch der aufgebotenen optischen Mittel bemüht. Vor mediterran blauem Himmel liegen große dunkle Hartschaumklumpen — Relikte vielleicht einer prähistorischen Ölpest.

Zur Rechten der Piazza, auf der sich die handelnden Personen bewegen, der Palast des Minos, dessen auratisches Gestein durch mattschwarze, faltig aufgebrachte PVC- Selbstklebefolie angedeutet ist; zur Linken, in DC-fix gehüllt, das Stier- Heiligtum, in dem die sieben athenischen Jünglinge und ihre sieben Leidensgenossinnen vor dem großen Gastmahl des Minotaurus ihre letzten Stündlein verbringen müssen.

Atavistische Feldzeichen ragen aus dem von Plastikfellen bedeckten Boden, aus dem sich später das Primitiv-Labyrinth wie eine Trockenpresse des Fotolabors erhebt. Solche optische Aufbereitung mutet eher geist- als zeitlos an — und den Darstellern wurde durch die Inszenierung vollends übel mitgespielt. Der Regisseur ließ sie auf die Palastbalustrade plumpsen, daß die Wände wackelten; Arianna wird von den Zweifeln an der Liebe des Theseus gar in den Orchestergraben getrieben, greift zum Kontrabaß-Bogen und fuhrwerkt mit ihrer Furien- Stimme und dieser Tatwaffe durch das Ensemble, das so Schlimmes nicht verbricht, als daß es derart heimgesucht werden müßte. Aber da die Händelsche Musik solcher Raserei enge Grenzen setzt, trollt sich die Titelheldin dann doch wieder und kehrt ins krude Bildergemisch auf der Bühne zurück.

Die Herren Kretas sind mit kräftigen Sexualsymbolen ausgestattet — Feldherr Tauride mit prächtigem Gemächte. Die Wachen erhielten — ganz zeitlos — transkaukasisch-sibirisches Outfit. So als sollte hier nicht Arianna in Creta, sondern „Die Hunnen in Pforzheim“ gegeben werden. Historische Kompromisse führen selten zu überzeugenden künstlerischen Lösungen — das zeigte der Balthes-Ballast, mit dem die Bühne beschwert wurde.

Kompromißlich auch der Orchesterklang, für den die „Deutschen Händel-Solisten“, präsidiert von Vittorio Negri, verantwortlich zeichneten: Gewiß, da mischen sich Holz-Oboen, Cembali und andere Zupfinstrumente zu den Streichern, deren Personal die Bögen eine Handbreit überm Frosch packt. Aber all das bringt ja den authentischen Klang der Royal Academy of Music von 1733 nicht wieder, schon gar nicht in der Beton-Kulisse des Badischen Staatstheaters.

Der Sehnsucht nach der Rekonstruktion sind ohnedies Grenzen gesetzt. Von mir aus aber hätte nur der Minotaurus echt und original sein müssen — dann hätte er die lächerliche Begegnung mit Theseus vielleicht, entgegen dem Libretto, zu seinen Gunsten entschieden und die Zahl der inkompetenten Counter- Tenöre etwas reduziert

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