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Alia will Flüchtlinge stoppen

■ Italienische Emissär Martelli spendet Tirana im Gegenzug 10 Mio. Dollar

Tirana (dpa/taz) — Der stellvertretende Ministerpräsident Italiens, Martelli, der das Verhalten seiner eigenen Regierung angesichts der albanischen „Boat People“ als „altersschwach, langsam und astmatisch“ gekennzeichnet hatte, ist von seinen Gesprächen in Albanien wenigstens mit einer guten Nachricht heimgekehrt: Alle politischen Gefangenen sollen dort unverzüglich freigelassen werden. Albaniens Präsident Ramiz Alia und Ministerpräsident Fatos Nano bezifferten die Zahl der „Politischen“ auf 202. Ob tatsächlich alle Gesinnungshäftlinge freikommen hängt davon ab, wie eng die albanische Justiz den Begriff „politische Gefangene“ definieren wird, ob insbesondere „Republikflüchtige“ einschlossen sein werden. Martelli wurde versichert, daß die Flüchtlinge, die jetzt, verzweifelt über die Hartherzigkeit der italienischen Behörden, nach Albanien zurückgekehrt sind, dort keine Repressalien zu befürchten hätten.

In bezug auf das wichtigste Anliegen seines Besuchs, den Stopp der Flüchtlingswelle, kann Martelli seinem Chef Andreotti einen vollen Erfolg melden: Die albanische Seite hat zugesichert, daß es eine Fortsetzung der spontanen Massenflucht übers Meer nicht geben wird. „Wir werden alle denkbaren Maßnahmen ergreifen, damit sich solche Ereignisse nicht wiederholen“ war der Kernsatz aus Alias für künftige Flüchtlinge wenig beruhigendem Statement. Als Gegenleistung sagte die italienische Regierung eine Soforhilfe von etwas über 9 Millionen Dollar zu. 70 Prozent der Hilfe soll aus Lebensmitteln bestehen, der Rest aus Medikamenten und medizinischer Ausrüstung. Eine italienisch-albanische Komission, der auch Vertreter der albanischen Opposition angehören, soll über die Verteilung der italienischen Lebensmittel und Medikamente in Albanien wachen.

Ein weiterer Kreditwunsch Tiranas an die italienische Regierung über 70 Millionen Dollar, der zur Sanierung der Infrastruktur, vor allem des Eisenbahnnetzes dienen soll, wurde von Martelli zur Kenntnis genommen. Der italienische Minister, in dessen Land schwere Menschenrechtsverletzungen zur Alltagsroutine der Staatsorgane gehören, war auch als demokratischer Mentor tätig. Nur im Fall konsequenter Demokratisierung, so belehrte er die Realsozialisten, könne Albanien auf Finanzspritzen hoffen.

Unerfreuliches berichtete eine Delegation der Helsinki-Föderation für Menschenrechte, die sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Anwalt der politisch Unterdrückten in Osteuropa gemacht hat, von ihrem noch laufenden Albanien-Besuch. Dem Delegationsleiter wurde verwehrt, ein albanisches Gefängnis zu besuchen. Die Delegation kam auch zu dem Schluß, daß bei einer kürzlichen Gefangenenrevolte meuternde Häftlinge „bewußt hingerichtet“ worden seien. Christian Semler

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