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Der letzte echte Verkäufer

■ Walter Keidel und die One-Man-Show der Autopolitur

Doc Keidel hört die Sorgen seiner PatientenFoto: Tristan Vakann

“So, jetzt zum Preis. Eigentlich ab Werk pro Flasche 25 Mark, heute auf der Messe zwei Flaschen für 30 plus ein Pflegemittel

Hier bitte das foto

mit Mann und Auto!!

für die geriffelten Plastikteile.“ Walter Keidel fixiert seinen ersten Kunden mit den Augen. Dreieinhalb Minuten hat er seinen

Köder, die „Number-one“Autopolitur, angepriesen, jetzt wird der Fisch an Land gezogen. „Billiger ist nur, nichts zu tun“, lobt er dann den glücklichen Käufer dreier knallroter Plastikflaschen mit einer milchig-sähmigen Flüssigkeit und legt noch eine Werks-Pflegegarantie-Karte mit Nachbestellcoupon in die Tüte.

„Man darf nicht zu sehr drücken“ erklärt Keidel sein Verkaufsgeheimnis. Seit zwölf Jahren lobt und preist der 43jährige Frankfurter Autopolitur (Beruf: Selbständig), arbeitet nach eigenen Angaben 450 Tage im Jahr und ist bis morgen auf der Autovision in der Stadthalle zu erleben. Seine Verkaufsshow ist ein kleines dramaturgisches Kunstwerk, dessen Höhepunkt darin besteht, die Motorhaube einer silbermetallic-lackierten Edelkarosse in Flammen zu setzen, um dann mit einem Lappen (keine Watte!) den alten Glanz wieder herzustellen.

Wer stehenbleibt, hat schon verloren. Dann fragt Keidel nach dem Auto seines Opfers, nimmt aufrichtig Anteil an den spezifischen Politurproblemen (“Der hat die Chrom-Stoßstange, da geht das“) und schon beginnt die Number-one-Kur. Dann haut der Politur-Doktor im weißen Kittel energisch mit dem Ring am kleinen Finger auf den Kühler seines Autos, und während Dir der Atem stockt, weil Du denkst: Nun ist er hin, da sieht man rein gar nichts, und das liegt nur an der Politur. „Steinschlag, Granulat, die Waschstraßenbürsten, da passiert nichts mehr mit dem Lack“.

Ein dünner Milchwurm schlängelt sich auf der Motorhaube, und während Doc Keidel mit einem Lappen (keine Watte!) darin herumrührt, verrät er, wie man den natürlichen Feinden des Autoglanzes zu Leibe rückt: „Während des Eincremens reinige ich den Lack aus, konserviere und versiegele ihn in einem Arbeitsgang gegen Teer, Flugrost, leichte Farboxide, Insekten.“

„Schlimm ist nur, wenn einer aus der ersten Reihe geht“, erzählt der Verkaufsprofi, der seine Nummer an guten Tagen achtmal in einer Stunde abzieht. Das Drehbuch ist eine alte Überlieferung aus der Branche: Abgehört, geklaut von Kollegen, hundertmal verändert, und weiterentwickelt. Keidel ist Vollprofi und von seiner Arbeit überzeugt: „Wissen Sie, eigentlich, sind wir die letzten echten Verkäufer, das andere sind doch nur Regalauffüller. mad

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