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»Wenn jemand kommt, mach' ich 'ne Grimasse«

■ Horst Ehbauer, zweifacher Weltmeister im Fratzenschneiden, hat viele Gesichter: Vom »Suppenkasper« bis zum »Bösen Wolf«

Kreuzberg. Mit ungläubigen Blicken starrt das Touristengrüppchen neben der Gedächtniskirche auf den älteren Herrn mit dem Piratenhut auf dem runden Kopf. Höher und höher schiebt sich seine offenbar aus Gummi bestehende Unterlippe erst über die Oberlippe, dann an den Nasenlöchern vorbei, bis das Nasenbein nicht mehr zu sehen ist. Mit einem letzten Ruck plaziert er die Unterlippe zwischen den Augenbrauen, legt die Stirn in Furchen und kneift die Augen zusammen. Sein Publikum reagiert mit irritiertem Lachen, nicht ganz sicher, ob das alles mit rechten Dingen zugeht.

Der Fratzenschneider ist Horst Ehbauer, Berlins »Grimassenkönig« und zweifacher Weltmeister in dieser Disziplin. Die Unterlippe zwischen den Augenbrauen ist seine »WM-Grimasse«. Seit Jahrzehnten sorgt Horst Ehbauer mit dieser und anderen Gesichtsverrenkungen für Belustigung. Die Geschichte von »Knautschke«, wie ihn seine Fans liebevoll nennen, ist alles andere als lustig. 1933 wurde er in Kreuzberg geboren. »Als ich sieben Jahre alt war, wurde meine Mutter vom ‘S-Bahn- Mörder‚ umgebracht, mein Vater stand alleine da, mit fünf Kindern.« Die Kriegsjahre verbrachte Horst Ehbauer bei verschiedenen Familien und in Heimen, immer wieder auf »Verschickung«. Zehn Jahre lebte er dann in Köpenick, 1956 flüchtete er nach Kreuzberg. Er schlug sich durch bei einer Sprengfirma, als Dachdecker, mit Hilfsarbeiten auf dem Bau und als Kohlenschlepper. Jetzt verdient er sein Geld als Bauhelfer und Lkw-Fahrer. Vor 22 Jahren heiratete er seine dritte Ehefrau Inge. Mit ihr und dem Schnauzermischling »Blacky« lebt er seit sechs Jahren in einer Neubauwohnung in Mariendorf.

Dort stehen in der Schrankwand neben den Fotos seiner vier Kinder und zwei Enkeltöchter die gesammelten Trophäen und Erinnerungsstücke, die Horst Ehbauer im Laufe der Jahre für seine Grimassen bekommen hat. Die hölzerne, mit einer Fratze verzierte Tafel zum Beispiel, die ihn als Sieger der ersten Grimassenweltmeisterschaft ehrte, 1979 im französischen Moncrabeau: »Von Berlin aus bin ich einen ganzen Tag mit dem Zug da runter gefahren. Und dann habe ich meine Grimassen gemacht, zehn verschiedene, und kam von den sechzig Teilnehmern gleich unter die besten fünfzehn. Und beim Finale habe ich ganz klar gewonnen, mit meiner WM-Grimasse. Die Kinder im Publikum waren begeistert, die haben immer gerufen: ‘Monsieur Ehbauer, grimasses!‚ Und dann haben sie versucht, mich nachzumachen.«

Mit leuchtenden Augen und sichtlich erfreut über seine Erfolge, erinnert sich Horst Ehbauer an den großen Empfang, der ihm danach in Berlin bereitet wurde. 1982 allerdings, bei der nächsten WM im Moncrabeau, mußte »Knautschke« seinen Titel abgeben, ein englischer Grimassenschneider machte ihm den Rang streitig. Und auch 1985 wurde Ehbauer nur Vize, »weil mein Konkurrent Hilfsmittel benutzt hat. Der ist einfach in Frauenkleidern aufgetreten: Das könnte ich auch...«

Immerhin erreichte Ehbauer mit seinen Gesichtern drei Guinness- Buch-Eintragungen: »Mit 18 habe ich angefangen zu boxen. Irgendwann habe ich einen bösen rechten Haken eingesteckt, der hat mir den Kiefer ausgerenkt. Seitdem kann ich solche Grimassen machen« — ein stolzes Dutzend skurriler Gesichtsverdrehungen, die Ehbauer mit treffenden Namen versehen hat: »Böser Wolf« und »Suppenkaspar«, »Zerplatzter Autoreifen« und »Nein, meinen Grießbrei mag ich nicht« gehören zu seinem festen Repertoire.

Warum er gern »so 'ne Fresse« zieht? »Das Leben ist so ernst, und es tut mir so leid, wenn Menschen leiden, deswegen mach' ich einfach 'ne Grimasse, wenn jemand vorbeikommt.« Deshalb stellt er sich auch hin und wieder mit seinem kleinen Wägelchen auf den Breitscheidplatz, schiebt die Kassette mit der Witzmusik in den Rekorder und verzieht das Gesicht. »Geld ist dabei Nebensache, viel kommt sowieso nicht zusammen.« Auch für die Weltmeisterschaften gab's nur ein Trinkgeld, trotzdem ist Horst Ehbauer auch bei der nächsten, 1994, wieder dabei. Lars v. Törne

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