: Heute geht niemand auf die Barrikaden
■ Am 18. März 1848 kämpften die Berliner für Demokratie und Freiheit, am 18. März 1990 wählten sie sie/ Initiative ficht seit 13 Jahren für Gedenktag
Berlin. Es gibt Schicksalstage in der deutschen Geschichte, der 18. März ist so ein Tag. Vor genau einem Jahr wählten die Bürger der damaligen DDR zum erstenmal frei und geheim ein eigenes Parlament. Die Euphorie des vergangenen Jahres ist heute vorbei. Würde jetzt gewählt werden, ermittelte die 'Berliner Zeitung‘ in einer Umfrage, würde die SPD gewinnen und die CDU böse Verluste hinnehmen müssen. Heute, am 18.März 1991, erhalten Zigtausende von Berliner Metall- und ElektroarbeiterInnen ihre Kündigung zum 30.Juni in die Hand gedrückt. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.
Es gibt aber noch einen anderen 18. März, und der fand vor 143 Jahren statt. An diesem Tag zog der preußische König vor den Gefallenen der März-Revolution seinen Hut. Adolf Menzel hat es im Bild festgehalten. Die BürgerInnen Berlins hatten nach blutigen Barrikadenkämpfen gegen König, Militär und Polizei einen Sieg errungen. Einen teuren Sieg. 230 Opfer hatte der Kampf der BürgerInnen für Meinungs- und Versammlungsfreiheit gekostet, für Gesetze, die sie gegen Ausbeutung in den Fabriken und Willkür auf der Straße schützen sollten. Die März-Revolution 1848 war weit mehr als ein Klassenkampf, es war ein Aufstand für deutsche Demokratie gegen preußische Gewaltherrschaft. Der Mediziner Rudolf Virchow beschrieb in einem Brief an seine Eltern diesen 18.März 1848. Der Anblick Berlins sei wahrhaft traumhaft, ganz Berlin hänge voll mit deutschen Fahnen. »Das ist etwas ganz Neues, und fast das Wichtigste bei der Sache ist, daß wir jetzt Selbstgefühl, Selbstachtung und Selbstvertrauen gewonnen haben.« Und er fügte hinzu: »Wir wollen hinfort nur ein einziges Volk von lauter gleichberechtigten Menschen bilden.«
Dieser demokratische 18. März ist heute fast vergessen, ist Schulbuchanekdote, Anlaß für Historiker, schöne Aufsätze zu schreiben. Daran ändert auch nichts die rührige Westberliner Initiative »Aktion 18. März— Nationalfeiertag in beiden deutschen Staaten«. Der Name verrät es, die Initiative ist nicht neu, es gibt sie schon seit 13 Jahren. Aber ihr Anliegen ist immer noch aktuell, meint der Initiator Volker Schroeder.
Dem wiedervereinigten Deutschland hätte es nicht schlecht angestanden, sagt er, mit einem Nationalfeiertag am 18. März der Welt zu zeigen, auf welche Traditionen das Land Wert legt. »Denn die März-Revolution war eine europäische Sache«, zur gleichen Zeit kämpften auch die Italiener, Ungarn und Österreicher gegen feudale und monarchistische Ordnung und für Demokratie und Freiheit. Aber es sollte nicht sein, im Einigungsvertrag wurde der 3. Oktober als gemeinsamer Feier- und Gedenktag festgeschrieben. Anita Kugler
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