: Standbild: Kuriositätenkabinett
■ Wir waren solche Memmen nicht, Mo., ARD
Peter Merseburger berichtete für den NDR aus London. Zum letzten Mal. Der Korrespondent, der in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem in Ost-Berlin und Washington stationiert war, geht in den Ruhestand. Aber da man sich bei der ARD offensichtlich schwer tut, nach Mauerfall und Wüstensturm vom Aktualitätsfieber zu genesen, setzte man am Montag abend kurzerhand eine Brennpunkt-Sendung zur Volksabstimmung in der UdSSR an. Merseburgers Reportage über die britische Kriegseuphorie rutschte kurzerhand ins Nachtprogramm. Der Golfkrieg ist schließlich längst Schnee von gestern. Dabei war gerade sein Bericht dazu angetan, die Vorzüge einer sorgfältigen Recherche gegenüber diesen oft mit heißer Nadel gestrickten Huldigungen an den Fetisch Aktualität deutlich zu machen. Mit beeindruckender Materialfülle spannte Merseburger den Bogen von Waterloo bis zum Golf und eröffnete so Einblicke in eine seltsam ungleichzeitige Nation zwischen lächerlichem Pomp und kalkulierten Machtinteressen. Da sah man erwachsene Menschen mit großem Ernst alte Schlachten gegen die Wikinger nachspielen, den Moderator einer seriösen Nachrichtensendung während des Golfkrieges allabendlich Plastikpanzer im Sandkasten hin- und herschieben und Gottesmänner von der Kanzel gegen den Teufel aus Bagdad wettern. Kuriositäten, die Merseburger in wohlgesetzten Worten gewohnt sachlich und nüchtern kommentierte. Spektakuläre Bilder und Statements waren seine Sache schließlich noch nie. Wozu auch, wenn sich Widersprüche durch einen einfachen Schnitt deutlich machen lassen? So kontrastierte er die hochfliegenden Erwartungen angehender Yuppie-Offiziere (Abenteuer, ideale Vorbereitung für zivile Karriere) mit dem Eingeständnis anderer, daß die desolate wirtschaftliche Lage des Königreichs ihnen praktisch keine andere Wahl lasse, als für Königin und Vaterland, wo auch immer, in den Krieg zu ziehen. Bilder vom „ruhmreichen“ Falkland-Feldzug stellte Merseburger Szenen aus Nordirland gegenüber, um sich dazu von einem tumben Oberst erklären zu lassen, daß die britische Armee zuverlässig erledige, was immer ihr die Regierung befehle, ergo völlig apolitisch sei. Wer auch immer für die ARD künftig in London die Stellung halten wird, Peter Merseburgers solides journalistisches Handwerk wird so leicht nicht zu ersetzen sein. Sein Charakterkopf sowieso nicht. Reinhard Lüke
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